Wie ein großes Kruzifix steht es da, das Gebäude aus Glas und Metall, mitten im kalten Fels der Antarktis. Das nagelneue Gebäude trägt den Namen Qinling und ist seit Mittwoch Chinas neueste und fünfte Forschungsstation am Südpol in der Nähe des Rossmeeres.
Mit dem Bau wurde 2018 begonnen, die Eröffnung wurde wegen Corona verschoben. Qinling ist nach dem Sternbild des Südens benannt, das dem legendären chinesischen Seefahrer Zheng He bei der Navigation geholfen haben soll.
In der modular aufgebauten Station gibt es Wohn- und Arbeitsräume, Labore und Verpflegungsmöglichkeiten. Im Sommer sollen hier bis zu 80, im Winter bis zu 30 Menschen leben und arbeiten können, berichtete das chinesische Staatsfernsehen. Bilder des chinesischen Auslandsfernsehens CGTN zeigten, wie die Crew in roten Outdoor-Jacken in Reih und Glied das Hissen der gleichfarbigen Nationalflagge begleitete.
Zweifel an Chinas Absichten in der Antarktis
Sogar Staatschef Xi Jinping, der China zu einer "polaren Großmacht" machen will, gratulierte den Forscherinnen und Forscher der neuen Polarstation. Die Fertigstellung von Qinling sei eine "starke Garantie für Wissenschaftler in China und der ganzen Welt, weiterhin die Geheimnisse der Natur zu erforschen und mutig den Gipfel der Wissenschaft zu erklimmen", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua den Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Staatspräsidenten.
Xi rief laut Xinhua dazu auf, die Polarregionen besser zu verstehen, zu schützen und zu nutzen, "um neue und größere Beiträge zum Wohle der Menschheit und zum Aufbau einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit zu leisten".
Doch nicht alle trauen den Worten und Absichten Pekings. Qinling sei gut positioniert, um Aufklärungssignale aus Australien und Neuseeland abzufangen und Informationen aus beiden Ländern zu sammeln, berichtete das Center for Strategic and International Studies (CSIS) im April letzten Jahres. In Qinling solle auch eine Satellitenbodenstation errichtet werden. Gleichzeitig wachse Chinas Präsenz in der Antarktis schneller, erklärte die Denkfabrik der Nachrichtenagentur Reuters.
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China hat nun fünf Stationen in der Antarktis
Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums wies Vorwürfe zurück, China benutze seine Forschungsstationen als Spionageeinrichtungen. "Als beratende Vertragspartei des Antarktisvertrags achtet China stets darauf, dass unsere Aktivitäten mit den Bestimmungen des Antarktisvertragssystems übereinstimmen", sagte Wang Wenbin auf Reuters-Nachfrage. Qinling werde in voller Übereinstimmung mit den internationalen Regeln und Verfahren gebaut und betrieben.
Der Antarktisvertrag regelt verschiedene Fragen innerhalb der Staatengemeinschaft rund um den eisigen Kontinent. Obwohl die Antarktis als staatsfreies Gebiet gilt, haben im 20. Jahrhundert sieben Staaten Ansprüche auf Teile des Gebiets erhoben: Großbritannien, Neuseeland, Frankreich, Australien, Norwegen, Chile und Argentinien. Durch den Antarktisvertrag von 1961, dem mittlerweile 56 Staaten beigetreten sind, ruhen diese Ansprüche jedoch. Südlich des 60. Breitengrades ist die Antarktis der wissenschaftlichen Forschung vorbehalten. Militärische Aktivitäten, die Entsorgung von Atommüll und Atomtests sind verboten. China ratifizierte den Vertrag 1983.
Seitdem hat China seine Präsenz am Südpol kontinuierlich ausgebaut. 1985 wurde die erste Forschungseinrichtung, die Great Wall Station, in Betrieb genommen. Sie liegt an der Drake-Passage, einer wichtigen Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik. Nach Angaben des CSIS ist die Station mit Antennen und anderen Überwachungsgeräten ausgestattet und kann Schiffe, die die strategisch wichtige Passage passieren, genau beobachten. Es folgten die Stationen Zhongshan (1989), Kunlun (2009), Taishan (2014) – und nun Qinling.
Spioniert China von der Antarktis aus?
Laut CSIS plant China, die Station Zhongshan mit weiteren Antennen auszustatten. Diese sollen von einem wichtigen Akteur der chinesischen Raumfahrt gebaut werden, der von den USA als militärische Einrichtung eingestuft werde. Auch hier wird befürchtet, dass China Informationen über ausländische Streitkräfte im Indischen Ozean sammeln könnte. Dazu gehöre auch die Marinebasis Diego Garcia der USA und Großbritanniens.
Auch das US-Verteidigungsministerium betrachtet Chinas Aktivitäten in der Antarktis mit Argwohn. So schrieb das Pentagon 2023 in einem Bericht an den Kongress, Pekings Präsenz auf dem antarktischen Kontinent stehe "mit Sicherheit mit seinem zivilen Raumfahrtprogramm und künftigen PLA-Missionen" im Zusammenhang. Die PLA ist die Abkürzung der Volksbefreiungsarmee. Der Bericht erwähnt auch die Möglichkeit der Spionage gegen Australien und Neuseeland.
Außerdem wolle China enger mit Russland zusammenarbeiten und möglicherweise eine Revision des Antarktisvertrags anstreben, um Zugang zu natürlichen Ressourcen zu erhalten und militärische Operationen in der Antarktis zu unterstützen. Experten befürchten daher, dass die Antarktis zu einem "Schauplatz des Wettbewerbs zwischen Großmächten" wird.

China ist interessiert an Rohstoffen
Doch nicht alle Experten teilen diese Befürchtung. Die australische Politikwissenschaftlerin Yun Jiang hält die Befürchtungen über Chinas Absichten, einschließlich der Militarisierung, für übertrieben. Sie beruhten auf der falschen Vorstellung, dass sich in der Antarktis wiederholen werde, was im Südchinesischen Meer geschehen sei. Die Antarktis sei für Peking nur von marginalem Interesse.
"Meiner Meinung nach verfolgt die VR China vielmehr unterschiedliche Ansätze in verschiedenen geopolitischen Fragen. In der Antarktis wird sie wahrscheinlich keine militärische Gewalt oder Zwang anwenden, sondern ihre Interessen in den bestehenden internationalen Foren im Rahmen des Antarktisvertrags selbstbewusst und energisch vertreten", schrieb sie 2022 in einem Artikel des Australian Institute of International Affairs. "Was die Antarktis betrifft, so ist es (China) eher eine Mittelmacht als eine Großmacht."
Doch das könnte sich in Zukunft ändern, meinen andere Experten. Chinas wachsende Beiträge zur Antarktis-Wissenschaft könnten den Weg für ein größeres Mitspracherecht Chinas bei der zukünftigen Verwaltung der Region ebnen, so das CSIS. So könnte 2048 das Umweltschutzprotokoll des Antarktisvertrags neu verhandelt werden, was China die Möglichkeit geben würde, künftige Regeln für den Abbau von Bodenschätzen mitzugestalten.
Und davon werden in der Region viele vermutet, etwa Gold, Platin und andere Metalle. In der Antarktis lagern schätzungsweise 45 Milliarden Barrel Erdöl und 115 Billionen Kubikmeter Erdgas. Diese Rohstoffe dürfen jedoch nicht gefördert werden.
Außerdem ist China an den Fischbeständen der Antarktis und an der Kultivierung des antarktischen Krills interessiert. Schon jetzt gehört China zu den größten Krillfischern in der Antarktis. Eine Änderung der Verträge könnte es China ermöglichen, Rohstoffe zu fördern und den Fischfang zu intensivieren.
Sollte China also an der Neufassung des Umweltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag mitarbeiten, könnte Peking einem neuen Vertrag seinen Stempel aufdrücken, meint die Politikwissenschaftlerin Nong Hong vom Institute for China-America Studies in einem Artikel aus dem Jahr 2021. Damit könnte China seine Interessen auch in der Antarktis stärker durchsetzen.
Ob China die Polarregion auch militärisch stärker in den Fokus nehmen wird – dafür fehlen noch eindeutige Beweise. Allerdings verfolgt Peking die Doktrin der "zivil-militärischen Fusion". Sie zielt auf eine wechselseitige Durchdringung von ziviler und militärischer Industrie. Und das schließt die Wissenschaft mit ein.
Quellen: Nachrichtenagenturen Reuters und Xinhua, Chinas Botschaft in Deutschland, Secretariat of the Antarctic Treaty, CGTN, CSIS, CSIS (2), Verteidigungsministerium der USA, Australian Institute of International Affairs, Wilson Center, "China and the Antarctic: Presence, policy, perception, and public diplomacy", Australian Strategic Policy Institute, Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Verfassungsschutz, "Neue Zürcher Zeitung", Der neue Kosmos Weltalmanach & Atlas 2024