Beitrittsanträge von Finnland und Schweden Erdogans Machtpoker in der Nato: Jetzt ist nicht die Zeit für Geschacher!

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will für seine Zustimmung zum Nato-Beitritt von Schweden und Finnland offenbar entlohnt werden
© Adem Altan / AFP
Bevor Finnland und Schweden der Nato beitreten können, müssen alle 30 Mitglieder zustimmen. Doch die anfängliche Freude über den geplanten Familienzuwachs ist abgeflaut. Denn der türkische Präsident Erdogan stellt sich quer. Aus reinem Eigennutz.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan blockiert den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden – angeblich, weil sie die kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützen, die Ankara als Terrororganisation einstuft. Dass diese Behauptung lediglich als Vorwand dient, sich für die Zustimmung kräftig entlohnen zu lassen, darüber ist man sich in Brüssel einig.

Erdogan erpresst seine Bündnispartner, er will für sein OK bezahlt werden, wahrscheinlich in Form von Waffendeals mit den USA. Doch die Stärkung der Verteidigungsallianz inmitten eines blutigen Krieges auf europäischem Boden ist weder der Moment für politische Machtspielchen noch für egoistisches Geschacher.

Erdogan: ein Meister der Selbstinszenierung

Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass sich der türkische Regierungschef der Welt als gütiger Vermittler präsentiert hat. Als sich Ende März russische und ukrainische Delegierte in Istanbul an den Verhandlungstisch setzen, war das ein Coup für den Erdogan. Außer Hochglanzfotos kam dabei zwar nicht viel raus. Nur waren es genau die, auf die es Erdogan ankam. Deren Subtext: "Schaut her, auf wen am Ende alle hören!" Doch beweist sein Pokern beim geplanten Nato-Familienzuwachs aufs Neue: Erdogan geht es immer nur um eines – um sich selbst.

Ob Nato, EU oder UN: Es ist immer dieselbe Leier. Wenn alles glatt läuft, klopfen sich die vermeintlichen Partner gegenseitig, vorzugsweise aber auf die eigene Schulter. Wenn es ernst wird, ist von der viel beschworenen Einigkeit nicht mehr viel zu spüren. Kurzum: Ein Bündnis taugt meist nur so lange, bis es auf die Probe gestellt wird. Wenn es nicht mehr auf das Nehmen, sondern auf das Geben ankommt, wittern die Orbans und Erdogans dieser Welt ihre Gelegenheit, zu kassieren und wahrgenommen zu werden. Denn natürlich handelt es sich bei Erdogans Bockigkeit nicht (ausschließlich) um infantiles Quidproquo, sondern um ein machtpolitisches Ausrufezeichen.

Das Gestänker aus Ankara macht deutlich, wie abhängig die Handlungsfähigkeit einer Allianz von den Launen eines einzelnen Machthabers sein kann. Dass alle Nato-Mitgliedstaaten Beitrittsanträge einstimmig abnicken müssen, mag ja eine romantische Idee sein und hat historisch gesehen sicherlich seine Berechtigung. Doch werden im Rahmen der Offenen-Tür-Politik der Nato Finnland und Schweden nicht die Letzten sein, die einen Platz am großen Tisch erbitten. Wenn Machthaber wie Erdogan zukünftig vor jedem Stühlerücken die Hand aufhalten, verfällt die Allianz unweigerlich in die Rolle des Bittstellers. Insofern könnte der Umgang mit Erdogan ein Präzedenzfall sein.

Nato-Erweiterung: ein Albtraum für Putin

Dabei ist es an und für sich kein Problem, sollte sich der Beitritt von Finnland und Schweden verzögern. Schließlich haben unter anderem Großbritannien, die USA und auch Deutschland den Aspiranten während des Aufnahmeprozesses Sicherheitsgarantien zugesprochen, sollte Russland in einem erneuten Anflug von Größenwahn einen weiteren Krieg anzetteln. Auch vor ihrem Antrag hielt sich die Bedrohung in Grenzen – schließlich sind sowohl Finnland als auch Schweden seit vielen Jahren enge Nato-Partner.

Dennoch ist es enorm wichtig, dass die Unterzeichnung der Beitrittsprotokolle und die darauffolgende Ratifizierung schnell über die Bühne gehen. Dabei geht es weniger um Formalitäten, sondern um das Bild der Stärke, dass die Nato-Erweiterung zeichnen würde. Für Putin wäre es außenpolitisch eine herbe Niederlage, innenpolitisch ein Albtraum. Genau das zu verhindern war schließlich eine seiner Rechtfertigungen für den Überfall auf die Ukraine.

All das weiß Erdogan natürlich. Nur schert er sich in seiner Me-First-Mentalität nicht darum. Erdogan ist der Typ Mensch, der Freunden zwar beim Umzug hilft, dafür aber eine Rechnung schreibt. Nur sollte man für Freundschaft keine Gegenleistung erwarten.

rw