Die erhitzte Debatte über die Zukunft der Europäischen Union hält an. In einer mit Spannung erwarteten Rede vor dem EU-Parlament hat der britische Premier Tony Blair die Grundzüge seines Programms für die EU-Ratspräsidentschaft skizziert. "Nach 50 Jahren müssen wir uns erneuern", sagte Blair. Er rief die Union zu einer umfassenden Modernisierung auf. Großbritannien wird am 1. Juli die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft von Luxemburg übernehmen. Wegen seiner Kritik an der EU-Agrarpolitik, die er in den vergangenen Tagen wiederholt geäußert hatte, hatte Blair sich den Zorn vor allem seiner deutschen, französischen und luxemburgischen Kollegen auf sich gezogen. Blair hatte am Montag die hohen Ausgaben für Agrarsubventionen als sinnlos bezeichnet und eine umfassende Reform des EU-Haushaltes gefordert.
Juncker attackiert britischen Premier
Auch die Blair-Rede vom Donnerstag belegt deutlich, dass sich Europa derzeit bewegt, dass nach dem Scheitern der EU-Verfassung und des Finanzgipfels am vergangenen Wochenende eine wichtige Debatte über die Zukunft der EU in Schwung gekommen ist. Dabei stehen jene, die auf eine Fortsetzung der politischen Integration beharren, jenen gegenüber, die Europa vermeintlich am liebsten als große Freihandelszone gestalten würden. Am Mittwoch erst hatte der scheidende EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker Blair im EU-Parlament überraschend offen vorgeworfen, Europa lediglich als Markt zu begreifen. Blair widersprach Juncker. Am Mittwoch Abend trafen sich der deutsche Regierungschef Gerhard Schröder und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Aachen und riefen dort zur Fortsetzung der politischen Einigung Europas auf.
"Dieser Haushalt ist nicht modern"
Am Donnerstag wies Blair die Vorwürfe entschieden zurück, er wolle Europa in eine reine Freihandelszone verwandeln. "Ich würde nie ein Europa akzeptieren, das nur ein Markt ist", sagte er. Doch die Ablehnung der Verfassung in den Niederlanden und Frankreich habe gezeigt, dass die Bevölkerung unzufrieden sei mit der Politik der EU. Darauf müsse Europa reagieren und entsprechend auch seine Finanzplanung auf Zukunftsthemen wie Forschung und Bildung ausrichten. An seiner Kritik an der Agrarpolitik hielt er weiterhin fest. Auch wenn diese nicht über Nacht geändert werden könne, bleibe er dabei: "Ein Haushalt, der 40 Prozent für die Landwirtschaft ausgibt, ist nicht modern."
Sollte sich die Union nicht modernisieren und auf die Bedürfnisse ihrer Bürger eingehen, "dann riskieren wir ein Scheitern, und zwar ein Scheitern in strategisch großem Ausmaß", warnte Blair. Er drang auf weitere Reformen. So kündigte er unter anderem an, sich um Kompromisse in den Auseinandersetzungen um die Dienstleistungsrichtlinie und die Arbeitszeitrichtlinie bemühen zu wollen. Beide Richtlinien gelten als Test für das Gleichgewicht zwischen den Interessen von Wirtschaft und Sozialem in der EU.