EU-Reformvertrag Ein Kompromiss mit Haken

Sonderregelungen für Polen, für Italien - sogar für Bulgarien: Der vorliegende EU-Reformvertrag ist eine Sammlung teils bizarrer Regeln. Dennoch ist er wichtig: Er macht die EU bei einer wachsenden Zahl von Mitgliedern überhaupt erst wieder regierbar.

Nun steht der EU-Vertrag also, der die Europäische Union ab 2009 auf neue Beine stellen soll. Mehr ging nicht. Der ganz große Wurf ist es nicht geworden. Der scheiterte 2005, als sich das Projekt noch Verfassung nannte, am Willen der Bevölkerung in Frankreich und Holland. Jetzt trägt die Reform wieder einige jener bizarren Züge, die so typisch für die EU sind: Ein Kompromiss mit Ausnahmen, Unschärfen, Zusatz-Protokollen und Erklärungen.

Blockade zahlt sich immer aus

Die Art, wie heute Nacht in Lissabon eine Einigung zu Stande kam, lehrt einmal wieder das politische Spiel in der Europäischen Union. Regel eins: Blockade zahlt sich immer aus. Wer sich nur lange genug sperrt, bekommt schließlich (fast) alles, was er will. Regel zwei: Hinter dem Gezerre steckt oft nur populistisches Theater - möglichst schrill und laut, damit es die Wähler zu Hause gut hören können.

Die polnischen Kaczinsky-Zwillinge, die den Vertrag bis zuletzt mit immer neuen Forderungen torpediert hatten, präsentieren sich nun als Sieger: Sie bekommen über eine verschachtelte Rechtskonstruktion eine Bestandsgarantie für "ihre" so genannte Ioannina-Klausel, mit der Minderheiten im EU-Rat eine Mehrheitsentscheidung aufschieben können. Doch wie lange sich Beschlüsse dadurch aufhalten lassen, ist umstritten. Für die Kaczinskys bleibt von Ioannina möglicherweise nicht viel mehr als eine Geste der Gesichtswahrung kurz vor den polnischen Parlamentswahlen an diesem Sonntag.

Regeln mit absurden Zügen

Ein weiterer Wackelkandidat war vor den Verhandlungen Italien. Auch dem italienischen Premier Romano Prodi ging es mehr um sein Standing als um die Sache. Prodi hat nun für sein Land einen Parlamentssitz mehr herausgeschlagen hat als ursprünglich vorgesehen. Künftig soll Italien mit 73 Abgeordneten vertreten sein - genau wie Großbritannien. Das war Prodi wichtig. Dafür wird die Zahl der Parlamentarier auf 751 erhöht, wobei der Parlamentspräsident nicht mit stimmen darf. 751 Sitze, 750 Stimmen. Dass die Regel absurde Züge hat, wird deutlich, wenn man sich einen Italiener als Parlamentspräsidenten vorstellt.

Schließlich setzten sich die Bulgaren bei der Euro-Schreibweise damit durch, in offiziellen Dokumenten, aber möglicherweise auch auf Euro-Scheinen die kyrillische Schrift und entsprechende Bezeichnung "Evro" verwenden zu können. Details blieben noch offen. EU-Neuling Bulgarien ist noch gar nicht Teil der Euro-Zone.

Reformvertrag dennoch wichtig

Trotz aller Mängel und Kuriositäten ist der Reformvertrag auch in der Form, wie er nun vorliegt, für Europa wichtig. Denn der Kern ist geblieben: Der Vertrag macht die EU bei einer wachsenden Zahl von Mitgliedern überhaupt erst wieder regierbar. Ein Teil der Entscheidungen, bei denen heute noch Einigkeit notwenig ist, kann bald mit Mehrheit getroffen werden. Das macht die Gesetzgebung schneller. Und das bremst auch den Hang einzelner Mitglieder zum Alleingang, unter dem die Gemeinschaft heute noch leidet.

Die Einigung sei ein "Sieg für Europa", sagte der portugiesische Ministerpräsident und EU-Ratsvorsitzende José Sokrates. Sie macht ihn auch persönlich zum Gewinner: Am 13. Dezember soll der Vertrag in Lissabon unterschieben werden - der Sozialist Sokrates wird in die EU-Geschichte eingehen. Dabei findet das nächste Treffen der Staats- und Regierungschefs im Dezember eigentlich in Brüssel statt. Logistisch wird noch interessant werden, wie der Regierungstross zwischen Portugal und Belgien pendelt kann. Reiseaktivismus ist ja auch so eine skurrile EU-Spezialität.