Extremismus Paris kennt kein Pardon

Nach einigem Zögern macht Paris jetzt mit radikalen Imamen kurzen Prozess. Sechs "Gottesverrückte", wie Muslimprediger in Frankreich genannt werden, wurden seit Jahresbeginn "aus dem Verkehr gezogen". Deren Anwälte warnen vor einer Hexenjagd.

Pardon wird nicht mehr gegeben. Nach einigem Zögern macht Frankreich jetzt mit radikalen Imamen kurzen Prozess. Der islamische Prediger von Vénissieux, Abdelkader Bouziane, wurde Ende April so schnell von Lyon aus nach Algier abgeschoben, dass sein Anwalt noch nicht einmal Zeit hatte, einen Widerspruch zu formulieren. Bereits sechs Muslimprediger wurden seit Jahresbeginn "aus dem Verkehr gezogen". Doch das flotte Vorgehen der Behörden weckt Befürchtungen, der Rechtsstaat könne in einem Kulturkampf mit radikalislamischen Predigern Schaden nehmen. Deren Anwälte warnen vor einer Hexenjagd.

Bouziane, der sich zur Polygamie bekennt, hatte erklärt, der Koran erlaube die Prügelstrafe für untreue Ehefrauen. Der Mann dürfe eine untreue Frau hart schlagen, damit sie Angst habe, aber nicht ins Gesicht oder auf den Oberkörper. Außerdem hatte er den Wunsch geäußert, dass die ganze Welt muslimisch werde, sich aber gegen Terrorismus ausgesprochen. In einem anderen Interview hatte der Imam das islamische Recht auf Züchtigung erklärt, aber zugestanden, dass körperliche Gewalt in Frankreich verboten sei.

"Die Gefahr ist zu groß"

Für Innenminister Dominique de Villepin war damit Gefahr im Verzuge. Die Abschiebung musste unverzüglich erfolgen. Dass Bouziane außerdem gesagt hatte, er halte sich seit seiner Ankunft vor 23 Jahren an das französische Gesetz, ging in der öffentlichen Aufregung unter. Auch dass er Vater von 16 französischen Kindern ist, nutzte dem Prediger einer Rückkehr zum ursprünglichen Islam nichts. "Die Gefahr ist zu groß, als dass wir uns auch nur im Geringsten mit diesen Individuen abfinden würden", sagte de Villepin.

Das Durchgreifen gegen die "Gottesverrückten", wie sie in Frankreich genannt werden, kommt in der Bevölkerung gut an. Doch sie weckt auch die Furcht, Frankreich könne "aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen" und seine republikanischen Werte aufgeben. "Man kann demokratiefeindliche Bewegungen nicht bekämpfen, indem man zu ihren eigenen Waffen greift und den Rechtstaat herausfordert", mahnte der Generalsekretär für Gesellschaftsfragen der Sozialistischen Partei, Malek Boutih. "Die Integristen wollen eine explosive Lage schaffen", in der jeder "sich in seine Gemeinschaft einschließt", und die Regierung helfe dabei.

Verfügung nachträglich ausgesetzt

Muslimverbände fordern, missliebige Imame nicht auszuweisen, sondern vor Gericht zu stellen - wohl wissend, dass Männer wie Bouziane kaum juristisch zu fassen sind. Auch Bouzianes schnelle Ausweisung fand vor dem Verwaltungsgericht in Lyon keine Gnade: Die Verfügung wurde nachträglich, zwei Tage nach der bereits erfolgten Abschiebung, ausgesetzt, damit der Prediger sich verteidigen kann. Verärgert erklärte Präsident Jacques Chirac, man werde notfalls "das Gesetz so ändern, dass man die Autoren solcher Äußerungen abschieben kann".

Gleichzeitig bemüht sich die Regierung, die Muslime zu beruhigen. Es gehe nicht um ihre Glaubensgemeinschaft, sondern nur um einige wenige Gegner der Republik.

"Vorsätzliche Ignoranz"

Menschenrechtsgruppen wie Ava Basta! sehen in der Angst vor dem Islam eine Quelle für Rassismus. Weil seit 30 Jahren keine entsprechenden Statistiken mehr erhoben werden, weiß niemand so genau, wie viele Einwanderer es in Frankreich gibt und ob sich nun 600 000 oder sechs Millionen Menschen um Islam bekennen. Das konservative Blatt "Figaro" macht diese "vorsätzliche Ignoranz" für das "Fieber" der Gesellschaft verantwortlich.

Die Muslimverbände wollen die Wogen glätten, indem sie radikale Fundamentalisten isolieren. "Von den 1500 Imamen sind nur 250 oder höchstens 300 dafür qualifiziert", erklärt der Französische Rat Muslimischen Glaubens (CFCM). Der CFCM bilde deshalb Imame "made in France" aus, um "den Islam in Frankreich zu verwurzeln", also mit der Republik zu versöhnen. Denn weitaus die meisten Prediger sind selbst ernannte Imame, die kaum Kontakt zur modernen Gesellschaft halten und oft nicht einmal Französisch sprechen.

"Radikale Imame ähneln Sekten-Gurus"

Ihre Überwachung hat der Geheimdienst DST übernommen. Doch selbst im Innenministerium gibt es Zweifel, ob hier der direkte Weg zum Muslimterrorismus kontrolliert wird. "Diese radikalen Imame ähneln Sekten-Gurus. Ihre Verbindung mit Anhängern des "Heiligen Kriegs" ist nicht unbedingt bewiesen", sagte ein Ministerialbeamter.

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Hans-Hermann Nikolei/DPA