Schlag 12, der Mittagskommentar aus Berlin Schießt nicht auf die Flüchtlingsboote!

Die EU tut so, als ob sie mit der Bekämpfung der Schlepper das Flüchtlingsproblem lösen könnte. Das ist verlogen. Ein Militäreinsatz würde Europa zur Festung werden lassen.

Es ist die größte Aufgabe, vor der das vereinigte Europa in diesen Wochen steht: Es muss den eigenen Kontinent im Gleichgewicht halten – und trotzdem versuchen, sein menschliches Antlitz zu bewahren. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger geht es derzeit. Wenn sich heute in Brüssel die EU-Außen- und Verteidigungsminister darüber beraten, wie sie der Flüchtlingsströme Herr werden können, die aus Nordafrika über das Mittelmeer nach Europa kommen, dann steht genau dieses menschliche Antlitz Europas auf dem Spiel. Es sieht gerade nicht gut aus: Die EU ist dabei, es zu verspielen.

Es droht etwas aus dem Gleichgewicht zu geraten. Denn in erstaunlicher Geschwindigkeit steuert die EU auf einen Militäreinsatz im Mittelmeer zu, der im Herbst 2013 noch als reine "Symptombekämpfung" verworfen wurde. Schlepper-Boote sollen versenkt werden, möglichst nah schon vor den Küsten Nordafrikas. Damals, im Herbst 2013, überwog beispielsweise beim Auswärtigen Amt in Berlin der Zweifel, was aus den Flüchtlingen werde, wenn man sich hauptsächlich auf die Bekämpfung der Schlepper konzentriere. Anderthalb Jahre später aber, unter dem Druck Zehntausender, die sich aus Verzweiflung in see-untaugliche Boote setzen, ist der Handlungsdruck in der EU offenbar so hoch geworden, dass man gewillt ist auf eine militärische Lösung zu setzen.

Europa entwickelt sich zur Festung

Die EU lügt sich dabei mindestens an zwei Punkten in die eigene Tasche: Es wird so getan, als ob sich das Massensterben der Flüchtlinge auf ihrem Weg in eine bessere Welt verhindern ließe. Das aber stimmt nicht. Sollte die militärische Stärke der EU im Mittelmeer tatsächlich in absehbarer Zeit die Zahl der Flüchtlinge reduzieren, die sich auf Boote wagen können, dann wird das Elend von hoher See nur zurück an die Küsten Nordafrikas verlagert. Gestorben wird dort auch, nur eben nicht mehr in unserem europäischen Sichtfeld.

Menschen retten - und europäische Werte

Zweitens – um Asyl auf dem europäischen Kontinent beantragen zu können, müssen Bürgerkriegsflüchtlinge irgendwie, und sei es noch so abenteuerlich, in der Lage sein, diesen Kontinent auch zu erreichen. Auf dem Landwege ist dies in den vergangenen Jahren immer schwerer geworden, per Flugzeug nahezu unmöglich. Wenn jetzt auch noch der Seeweg dicht gemacht wird, ist die EU drauf und dran zur Festung zu werden. Die Möglichkeit, in Europa Asyl zu bekommen, ist damit quasi abgeschafft.

Das kann, das darf, bei aller Furcht vor der Größe der Aufgabe, nicht die Lösung sein. Eine große Kraftanstrengung ist nötig. Es geht nicht nur darum, Menschenleben zu retten – es geht auch darum, die Werte Europas zu bewahren.

Axel Vornbäumen wundert sich, wie schnell es mal wieder geht, Kriegsschiffe loszuschicken – und wie langsam die EU-Mühlen mahlen, wenn die Frage ansteht, nach welchen Quoten die Flüchtlinge verteilt werden sollen. Man kann dem Autor auf Twitter folgen unter @avornbaeumen.

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