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"New York Times"-Reportage Folter-Erfinder geben Einblick in brutale CIA-Verhörmethoden

Screenshot aus "New York Times"-Reportage über Videoaufnahmen der Aussagen von John Bruce Jessen und James Mitchell vor Gericht
Ein Screenshot aus der "New York Times"-Reportage über die Videoaufnahmen von der gerichtlichen Anhörung: Oben rechts ist John Bruce Jessen zu sehen, in der Mitte unten James Mitchell.
© Screenshot "New York Times"-Video
Waterboarding, Stress-Positionen, Schlafentzug: Jahrelang hat die CIA Gefangene brutal gequält. Die Architekten des Folterprogramms haben in einer gerichtlichen Anhörung Details aus diesem dunklen Kapitel der US-Geschichte enthüllt.

John Bruce Jessen und James Mitchell haben dabei geholfen, Gefangene brutal zu quälen. Die ehemaligen US-Militärpsychologen gehören zu den Architekten des Folterprogramms, das der US-Geheimdienst CIA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ins Leben rief, um aus mutmaßlichen Terroristen Informationen herauszupressen. Jessen und Mitchell dachten sich die Foltermethoden aus, wendeten sie an und brachten anderen bei, es ebenso zu tun, wie die "New York Times" berichtet. Ihre Unternehmen kassierten dafür 81 Millionen Dollar von der CIA.

15 Jahre später müssen sich die Psychologen wegen ihrer Taten erstmals vor Gericht verantworten. Die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) hat sie im Namen von ehemaligen Gefangenen verklagt. In einer Anhörung im Januar dieses Jahres legten Jessen und Mitchell über die "erweiterten Verhörtechniken", ihre Rollen in dem Folterprogramm und ihre Beweggründe Rechenschaft ab. Die "New York Times" hat Zugang zu den Videomitschnitten ihrer Aussagen erlangt und zeichnet in einer Reportage der Pulitzerpreisträgerin Sheri Fink und ihres Kollegen James Risen ein verstörendes Bild der Folter-Helfer und deren Zusammenarbeit mit der CIA.

Geheimdienst bat um Vorschläge für Verhörtechniken

Jessen und Mitchell hätten im Laufe der Zeit unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Folterprogramm vertreten, berichtet die Zeitung. Mitchell habe ihre Taten jahrelang öffentlich verteidigt, während Jessen geschwiegen habe. Nun aber, als Beschuldigte in einem Gerichtsverfahren, behaupteten beide, sie hätten Vorbehalte gegen die Verhörmethoden gehabt und schließlich sogar aus dem Programm aussteigen wollen.

Die Kontrolle über das Programm habe bei der CIA gelegen, argumentierten die Doktoren dem Blatt zufolge. Der Geheimdienst habe sie im Jahr 2002 um Vorschläge für Verhörtechniken gebeten. Sie hätten sich daraufhin an eine Schreibmaschine gesetzt und eine Liste erstellt mit Methoden wie Schlafentzug, Waterboarding und stundenlangem Fesseln in sogenannten Stress-Positionen, in denen der Druck des Körpers nur auf wenigen Muskeln lastet. Die Techniken seien größtenteils denen nachempfunden, die Jessen und Mitchell angewendet hätten, um amerikanischen Soldaten in Überlebenstrainings beizubringen, wie man in brutalen, kriegsrechtswidrigen Verhören feindlicher Kräfte widersteht, schreibt die Zeitung. Die Psychologen hätten sich gedacht, diese Techniken seien sicherer als andere, die die CIA womöglich in Betracht ziehen könnte, um Gefangene zum Reden zu bringen.

"Ihr Jungs seid Pussys"

"Wir waren Soldaten, die taten, was man ihnen befohlen hatte", rechtfertigt Jessen sich in seiner Aussage. "Ich glaube, jeder normale Mensch mit einem Gewissen müsste sich sorgfältig überlegen, ob er so etwas macht. Ich habe mit großer seelischer Qual darüber nachgedacht und bin offensichtlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es gefahrlos durchgeführt werden kann, sonst hätte ich es nicht getan."

Irgendwann jedoch hätten sie ihre Arbeit für die CIA beenden wollen, berichten Jessen und Mitchell weiter. "Wir haben mehrmals versucht, da rauszukommen und sie brauchten uns, und wir - wir machten weiter", zitiert die "New York Times" Jessen. "Sie erzählten mir jeden Tag, eine Atombombe würde in den Vereinigten Staaten zur Explosion gebracht werden, und das, weil ich ihnen gesagt habe, sie sollten aufhören." Sein Kollege Mitchell berichtet in seiner Aussage, CIA-Beamte hätten zu ihnen gesagt: "'Ihr Jungs habt euer Rückgrat verloren.' Ich glaube, das Wort, das tatsächlich verwendet wurde, ist, dass ihr Jungs 'Pussys' seid. Es würde einen weiteren Anschlag in Amerika geben und an unseren Händen würde das Blut toter Zivilisten kleben."

"Wenn es Schmerzen bereitet, machst du es falsch"

Jessen scheine manchmal mit dem, was passiert ist, zu hadern, schildert Sheri Fink ihren Eindruck von den Anhörungen. Mitchell wirke dagegen glatt und selbstbewusst. So versichert der Professor in seiner Aussage, dass das "Walling", das wiederholte Schleudern von Gefangenen gegen eine vermeintlich flexible Sperrholzwand, keine Schmerzen bereite. "Oh, es bringt dich durcheinander, es ist nicht schmerzhaft", sagt Mitchell. "Es reizt dein Innenohr. [...] Wenn es Schmerzen bereitet, machst du es falsch." Und obwohl er früher bereits einmal erklärt hatte, die meisten Menschen würden sich lieber ihre Beine brechen lassen, als sich einem Waterboarding zu unterziehen, äußert er sich ähnlich über das simulierte Ertrinken "Es ist ätzend, verstehen sie? Ich weiß nicht, ob es schmerzhaft ist", sagt Mitchell in dem Video. "Ich verwende das Wort beängstigend."

Der Untersuchungsausschuss des US-Senats hatte in seinem Ende 2014 veröffentlichten Bericht beschrieben, wie ein Gefangener in einem geheimen CIA-Gefängnis in Thailand über mehrere Tage hinweg 83 mal dem Waterboarding unterzogen wurde. Irgendwann während der Folter sei er "komplett unansprechbar" gewesen während "Blasen in seinem offenen, gefüllten Mund aufstiegen", heißt es darin. Die "New York Times" zitiert zudem eine Mitteilung aus dem Gefängnis an das Hauptquartier: "Beim Einsetzen unkontrollierter Magen- und Beinkrämpfe wurde das Subjekt wieder hochgehoben, um seine Atemwege zu leeren, woraufhin hysterisches Flehen folgte. Subjekt war in einem Maße verzweifelt, dass es unfähig war, effektiv mit dem Team zu kommunizieren."

Opfer schildern Langzeitschäden

In den von der Zeitung veröffentlichten Videoaufnahmen beschreiben auch zwei der ehemaligen Gefangenen, in deren Namen die ACLU jetzt klagt, die Auswirkungen der von Jessen und Mitchell erdachten Verhörmethoden: Er leide noch heute unter Alpträumen, Angstzuständen und Stimmungsschwankungen, erzählt Mohamed Ben Soud. Der Libyer war dem Blatt zufolge in Afghanistan von der CIA festgehalten worden, wo die Geheimdienstler ihn in kleinen Kisten eingesperrt, gegen eine Wand geschleudert und nackt und gefesselt mit Eiswasser übergossen hätten.

Ähnliche Folgen schildert der Tansanier Suleiman Salim, der nach Angaben von Sheri Fink und James Risen monatelang allein in einer dunklen Zelle in Afghanistan eingesperrt war und geschlagen, mit Wasser übergossen und des Schlafes beraubt wurde. Er leide unter Flashbacks, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und einem Klingeln in den Ohren, erzählt Salim. "Ich fühle mich so schwach, und ich kann nichts tun."

Als Salim in der Anhörung gefragt wird, ob er die Schmerzen beschreibe könne, die er gefühlt habe, als er stundenlang in einer Stress-Position mit beiden Händen an eine Wand gefesselt war, ohne aufstehen oder sich hinsetzten zu können, antwortet er dem Richter: "Ich kann nicht beschreiben, wie schmerzhaft das ist. [...] Vielleicht muss ich sie eine Stunde lang anbinden, damit sie den Schmerz fühlen können, wenn sie wissen wollen, was für ein Schmerz das ist."

Dann bricht er in Tränen aus.

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