Freigelassene Geisel Das Feilschen um Rudolf B.

Von Christoph Reuter
Bis zuletzt lief alles schief, was schief laufen konnte: Der Freilassung des deutschen Ingenieurs Rudolf Blechschmidt aus der Hand seiner afghanischen Entführer ging ein monatelanges Tauziehen mit zahlreichen Beteiligten voraus - ein Fall im Graubereich von Stammesfehden und Kriminalität.

Es war mit 84 Tagen die bislang längste Entführung, und bis zuletzt war schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte: Als der deutsche Bauingenieur Rudolf Blechschmidt und sein Kollege Rüdiger D. am 18. Juli in der afghanischen Provinz Wardak verschleppt worden waren, hatte es zunächst Hoffnung auf eine rasche Lösung gegeben: Sein afghanischer Kompagnon, der einflussreiche Stammesobere Eshak Noorzai, kam schon nach wenigen Tagen wieder frei. Noorzai-Stammesangehörige im afghanischen Geheimdienst und der Polizei hatten ihrerseits den Vater und weitere Verwandte des Chefs der Geiselnehmer verschleppt und klargemacht, dass sie ihren Mann wiederhaben wollten. Eine Paketlösung wurde zwischen afghanischen Behörden, der deutschen Botschaft und den Entfüherrn vereinbart: die Verwandten des Kidnapper-Anführer Nizam Uddin, eine sechsstellige Geldsumme gegen die Freilassung aller Entführten. Rüdiger B. war bereits während eines Gewaltmarsches nach der Verschleppung an Erschöpfung kollabiert und von den Geiselnehmern erschossen worden.

Eshak Noorzai kam auch frei - nicht aber der Deutsche und fünf weitere Afghanen. Ein monatelanges Tauziehen begann, das Züge eines Basarfeilschens annahm. Die deutsche Seite suchte händeringend nach verlässlichen Unterhändlern. Viele Afghanen boten sich an, versprachen das Blaue vom Wüstenhimmel, aber oft mehr als sie halten konnten. Um zu beweisen, dass sie tatsächlich Kontakt zu den Geiselnehmern hatten, verlangte der Krisenstab des BKA, der über Monate Quartier im ersten Stock der deutschen Botschaft bezogen hatte, Belege, Bilder, Zitate von Blechschmidt. So kamen die Videos zustande, deren Ausstrahlung in der Öffentlichkeit als Eskalalation des Dramas wahrgenommen wurde. In Wirklichkeit waren es Signale, dass man einer Lösung nähergekommen war.

Kurswechsel der Berliner Politik erschwerte Verhandlungen

Erschwert wurden die Verhandlungen jedoch durch die wachsende Furcht der Geiselnehmer, wieviel ihr Leben nach der Freilassung Blechschmidts noch wert sei - sowie durch den Kurswechsel der Berliner Politik im Umgang mit Entführungen. Man wolle, so ein hoher deutscher Beamter, nicht zur weltweit bekannten Melkkuh von Kidnappern werden, die in jedem Deutschen eine potenzielle Millionenbeute witterten.

Das Geiseldrama zog sich hin. Doch mit jedem neuen Vermittler stieg der Preis, Anfang Oktober äußerte ein afghanischer Journalist aus Wardak gegenüber dem stern seine Verwunderung: "Da kam alle paar Tage ein neuer Vermittler zu Nizam Uddin, und jeder will natürlich seinen Anteil am Kuchen. Hätten die Deutschen ihn ganz am Anfang herausholen können, wäre es viel billiger gewesen!"

Rudolf Blechschmid saß und saß, verlor Gewicht, aber hielt sich den Umständen entsprechend gut. Ende September schließlich war es fast soweit: Wieder war ein komplizierter Deal festgezurrt worden. Der Vater Nizam Uddins, der nach der Freilasssungs Eshak Noorzai zwar freigelassen, dann aber gleich wieder festgenommen worden war, sollte nun endgültig freikommen. Ein Team des Roten Kreuzes brach mit ihm nach Wardak zum vereinbarten Übergabetreffpunkt auf. Gleichzeitig sollten Mittelsmänner der Geiselnehmer einen Geldbetrag in Kabul ausgezahlt bekommen. Per Mobiltelefon standen die Kidnapper in permanenten Kontakt mit ihren Komplizen in Kabul, die auch das Geld in Empfang nahmen. Dann aber brach der Kontakt ab. Die Geldboten waren verhaftet worden. Wer dahinter steckte, ob jemand übereifrig reagierte oder eine konkurrierende Fraktion in den afghanischen Geheimdiensten den Deal platzen lassen wollte, ist ungeklärt. Auf jeden Fall reagierten die Kidnapper sofort: und kehrten um, samt Geisel, die noch nicht übergeben worden war.

Auch mit den Rot-Kreuz-Mitarbeitern klappte es nicht

Unverrichteter Dinge machten sich die Rotkreuzler auf den Rückweg zur Hauptstraße, aber wurden vorher abgefangen. "Die hatten offensichtlich eine Art Sicherheitssperre eingerichtet, um für alle Fälle vorbereitet zu sein", so ein Mitglied des Krisenstabes. Wieder war alles schiefgegangen, außer den fünf Afghanen und Blechschmidt waren nun auch noch die bislang stets respektierten Mitarbeiter des Roten Kreuzes in der Gewalt der Geiselnehmer. Die hatten, so der afghanische Journalist aus Wardak, anfangs vermutet, dass das Rote Kreuz von vornherein in den Plan eingeweiht gewesen wäre, sich nicht an die vereinbarten Bedingungen zu halten.

Das veröffentlichte Bild von Blechschmidt in afghanischer Tracht vor ein paar Tagen signalisierte, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen worden waren. Schlussendlich kamen sie nun zu einem glücklichen Ende. Was der Preis für die Freilassung war (außer dem Vater des Geiselnehmers, der nun endgültig auf freiem Fuß ist), bleibt ungeklärt.

Die Taliban übrigens erklärten während der Geiselhaft wiederholt, dass sie nichts damit zu tun hätten. Es war ein Fall im Graubereich von Stammesfehden und Kriminalität, der seinen Urhebern über den Kopf wuchs. Und der, in seiner an Finten und Fälschungen reichen Geschichte, zu einer kuriosen Zeitungsente geführt hat: Im Spätsommer vermeldeten deutsche Blätte, dass die deutschen Aufklärungstornados Blechschmidts Aufenthaltsort lokalisiert hätten. Doch bei aller Tiefenschärfe der Aufnahmen: einen entführten Deutschen in einer Höhle von einem Afghanen zu unterscheiden, das schafft nicht mal ein Tornado.

Der Ort war den Behörden längst bekannt.