Gaza-Streifen Immer mehr Zivilisten sterben im Kugelhagel

Die israelische Armee setzt ihren Vormarsch im Gaza-Streifen mit unverminderter Härte fort. Nach Palästinenserangaben starben bei den jüngsten Angriffen 24 Zivilpersonen, darunter viele Kinder. Ein Waffenstillstand ist nicht absehbar - trotz aller Bemühungen einer EU-Delegation und von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy.

Zwei Tage nach Beginn der Bodenoffensive im Gaza-Streifen setzt die israelische Armee ihre Angriffe auf Ziele der radikal-islamischen Hamas-Organisation fort. Der israelische Rundfunk meldete am Montag, in der Nacht seien 30 Ziele in dem Palästinensergebiet angegriffen worden. Bei den jüngsten Kämpfen seien sechs israelische Soldaten verletzt worden, berichtete die Zeitung "Haaretz" am Montag in ihrer Onlineausgabe. Hamas-Kämpfer würden mit Panzerabwehrraketen und Mörsern auf die vorrückenden Einheiten feuern. In Gaza-Stadt waren wieder mehrere Explosionen zu hören.

Bei neuen Angriffen wurden nach palästinensischen Angaben insgesamt 24 Zivilisten getötet, darunter 13 Kinder. Der Leiter der Notaufnahme im Schifa-Krankenhaus in Gaza, Haitam Dababisch, teilte mit, 13 der Toten stammten aus einer Familie im Saitun-Viertel in Gaza. Sie seien bei einem israelischen Vorstoß mit gepanzerten Fahrzeugen getötet worden. Bei den Toten handele es sich um einen Mann, vier Frauen und acht Kinder.

Bei einem weiteren Zwischenfall im Schatti-Flüchtlingslager wurde eine andere Familie tödlich getroffen. Nach palästinensischen Augenzeugenberichten wurden die Eltern und fünf Kinder im Schatti- Flüchtlingslager getötet. In ihrem Haus sei eine Granate eingeschlagen, die ein israelisches Kriegsschiff abgefeuert habe.

In Bet Hanun im nördlichen Gazastreifen wurden nach Krankenhausangaben vier weitere Zivilisten getötet, als eine Panzergranate ein Trauerzelt traf. Eine israelische Armeesprecherin in Tel Aviv teilte mit, man prüfe alle drei Vorfälle.

Nach Berichten des israelischen Hörfunks kam es in Gaza-Stadt am Montagmorgen zu Schießereien zwischen israelischen Soldaten und militanten Hamas-Angehörigen. Im Norden des Küstenstreifen waren Explosionen zu hören, als die Soldaten vorrückten. Sie forderten die Bewohner auf, ihre Häuser zu verlassen, damit sie bei den Kämpfen nicht verletzt würden. Einige Familien suchten Zuflucht in von den Vereinten Nationen geführten Schulen. Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes beklagten, dass israelische Granaten auch Krankenwagen getroffen hätten.

Ein norwegischer Arzt berichtete im Nachrichtensender CNN, dass sich seit Beginn der Bodenoffensive die Zahl der im Krankenhaus eintreffenden Verletzten verdreifacht habe. Ein Drittel der Verletzten seien Kinder und Frauen. Bereits am Vortag hatten Helfer von katastrophalen Verhältnissen in den überfüllten Krankenhäusern im Gazastreifen berichtet.

Am Wochenende hatten die israelischen Soldaten Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht, aus denen militante Palästinenser zuvor Raketen auf Israel abgefeuert hatten. Am Sonntag gelang es den vorrückenden Einheiten nach palästinensischen und israelischen Berichten, den Gazastreifen zu spalten. Sie trennten den Norden mit der dicht besiedelten Stadt Gaza vom Süden ab.

Nach Palästinenserangaben starben allein seit Beginn der Bodenoffensive 60 Zivilpersonen, 200 seien verletzt worden. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde in Gaza vom Sonntag starben binnen neun Tagen mindestens 527 Palästinenser, mehr als 2500 wurden verletzt, darutner 800 schwer.

Einen Tag nach dem Einmarsch Israels in den Gaza-Streifen kam nach Armeeangaben ein Soldat um, 31 wurden verletzt. Der israelische Rundfunk meldete am Montag, am Vortag die Entführung eines Soldaten durch Hamas-Kämpfer vereitelt worden. Vier Israelis wurden seit Beginn der Militäroperation am 27. Dezember durch Raketenbeschuss militanter Palästinenser getötet.

Amnesty: Menschen haben nichts zu essen

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) rief Israel und die radikalislamische Hamas zur Verschonung der Zivilbevölkerung bei ihren Kämpfen auf. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International äußerte sich besorgt. "Die allgemeine Lage hat sich seit zwei Jahren kontinuierlich verschlechtert. Aber dass die Menschen nichts zu essen haben, das gab es noch nie", sagte die Amnesty-Nahost-Expertin Donatella Rovera der "Berliner Zeitung" zufolge. Der UN-Sicherheitsrat müsse zu einem Entschluss kommen und Druck auf beide Seiten ausüben. "Es steht außer Frage, dass Israel ein Recht hat, sein Volk zu schützen. Aber die Angemessenheit der Mittel erscheint fraglich", sagte die Amnesty-Vertreterin dem Blatt zufolge.

Der israelische Staatspräsident Schimon Peres verteidigte die Offensive als notwendigen Einsatz gegen die Hamas. Israel werde "nicht dem Gedanken zustimmen, dass die Hamas weiterhin (Raketen) abschießt und wir eine Waffenruhe erklären sollen", sagte Peres dem US-Sender ABC. Die Regierung wolle weder den Gazastreifen erneut besetzen noch die Hamas vernichten, sagte er. Ziel des Einsatzes sei lediglich, "den Terror zu vernichten".

Islamische Länder wollen Sondersitzung der UN-Vollversammlung

Zum Stopp der Kämpfe dringen die islamischen Länder auf eine Sondersitzung der UN-Vollversammlung. Der malaysische Ministerpräsident Abdullah Ahmad Badawi erklärte am Montag, der UN-Gesandte seines Landes werde mit den anderen Mitgliedern der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) Möglichkeiten für eine solche Sitzung ausloten, bei der gemeinsam nach einer Friedenslösung gesucht werden soll.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte die Mitglieder des Weltsicherheitsrats auf, sich rasch auf Maßnamen zur Beendigung des Konflikts zu verständigen. Er äußerte am Sonntag in einer Erklärung sein Bedauern, dass sich der Sicherheitsrat bisher nicht auf eine Entschließung für einen sofortigen Waffenstillstand habe einigen können. Eine entsprechende Resolution scheiterte am Widerstand der USA, die allein der Hamas die Schuld an der jüngsten Eskalation gaben.

Mubarak empfängt EU-Vermittler

Unterdessen hat im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich eine Vermittlungsmission der Europäischen Mission begonnen. Sie will sich vor Ort um einen Waffenstillstand bemühen sowie um einen Korridor für Hilfsgüter. Präsident Husni Mubarak empfing nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Mena Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner, EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, EU-Chefdiplomat Javier Solana sowie die Außenminister Schwedens und Tschechiens, Carl Bildt und Karel Schwarzenberg.

Die sogenannte EU-Troika wollte anschließend nach Jerusalem, Ramallah und Amman weiterreisen. Scharzenberg war vor der Reise von arabischer Seite scharf kritisiert worden, weil er die israelische Bodenoffensive als Akt der "Selbstverteidigung" bezeichnet hatte, was seine Regierung jedoch später relativiert hatte.

Sarkozy bricht zu Nahost-Mission auf

Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat für den heutigen Montag eine Reise in die Krisenregion angekündigt. Sarkozy will unter anderem nach Kairo, Ramallah, Jerusalem und Damaskus reisen. "Frankreich hat eine besondere Verantwortung, weil es fähig ist, vertrauensvolle und freundschaftliche Beziehungen zwischen allen Parteien herzustellen", sagte Sarkozy am Sonntag in einem Interview.

Unterdessen plant die radikal-islamische Hamas nach eigenen Angaben erstmals seit Beginn der israelischen Offensive im Gaza-Streifen diplomatische Gespräche in Ägypten. Wie die Hamas-Vertretung im Libanon mitteilte, gehören der Abordnung zwei Mitglieder des Hamas-Politbüros an, Emad el Alami und Mohammed Nasr. Auf Einladung Ägyptens solle über Möglichkeiten gesprochen werden, den Konflikt mit Israel beizulegen, die Blockade des Gaza-Streifens aufzuheben und den Grenzübergang Rafah nach Ägypten zu öffnen.

Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, Amos Jadlin, warnte unterdessen vor einem Angriff der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah an der Grenze zu Israel. Der Armeerundfunk zitierte den Mossad-Chef mit den Worten, die proiranische Hisbollah könne im Norden Israels eine "zweite Front" eröffnen.

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DPA/AP/Reuters