Griechenlands Banken am Abgrund Die Lunte brennt

  • von Andreas Petzold
Die Zinszahlungen an den Währungsfonds sind nicht das einzige Problem der Regierung Tsipras. Die vier großen griechischen Banken sind dem Kollaps nahe. Sie könnten das Land in den Abgrund reißen.

Sein Arbeitszimmer im altehrwürdigen Gebäude der griechischen Zentralbank ist ein Tanzsaal, größer als das von Alexis Tsipras. Fast sechs Meter hohe, holzgetäfelte Wände, ein schwerer Teppich, und hinter dem lederbezogenen Schreibtisch sitzt der Mann, dessen Sorgen täglich zunehmen, wenn sein Blick auf den geöffneten Laptop auf dem Beistelltisch fällt. Yanis Stournaras, Gouverneur der Notenbank, verfolgt auf dem Bildschirm die Abflüsse aus den griechischen Banken.

Seit 2009 haben die Konteninhaber 100 Milliarden Euro abgezogen. Zwischendurch gab es vom Rettungsschirm zwar frisches Kapital, weshalb auch der Stresstest im Herbst vergangenen Jahres ging einigermaßen glimpflich ablief. Aber allein seit Ende November, als sich abzeichnete, dass die linksradikale Syriza das Parlament in Athen erobern würde, verschwanden 27 Milliarden - zwei Drittel davon hoben die Griechen in bar ab, der Rest ging ins Ausland. Jetzt sind es noch mickrige 130 Milliarden, die auf den Konten und Depots der vier großen griechischen Banken liegen.

Das Desaster spiegelt sich an der Athener Börse

Die unterfinanzierten Geldhäuser sind so etwas wie eine Handgranate mit gezogenem Stift. Sie alleine könnten den griechischen Staat in den Abgrund reißen, selbst wenn die Regierung ihre Zinszahlungen beim Internationalen Währungsfonds pünktlich abliefert (203 Millionen Euro am 1. Mai, 770 Millionen am 12. Mai) und es schafft, die kurzlaufenden Staatsanleihen (drei bis sechs Monate) umzuwälzen. Das Eigenkapital der Banken schwindet bedrohlich, mehr als die Hälfte geht jetzt schon für Rückstellungen für notleidende Kredite drauf. Insgesamt werden von griechischen Kunden Darlehen im Wert von 80 Milliarden Euro nicht mehr bedient. Das Desaster spiegelt sich an der Athener Börse, wo griechische Bankaktien auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren gefallen sind.

Warum ist das nun so bedrohlich für den griechischen Staat?

Solange sich die chaotisch agierende Tsipras-Administration nicht mit den Geldgebern einigt - und da sieht es zur Zeit ganz dunkel aus, sind Griechenlands Geschäftsbanken, einige von ihnen beherrschte Fonds und die Zentralbank die so genannten "Last Lender" des Staates, die einzigen, die dem Land noch Kredit geben. Sie kaufen der Regierung die kurz laufenden Anleihen ("T-Bills") ab. Normalerweise greifen auch ausländische Investoren zu, denn das Ausfallrisiko der mit knapp drei Prozent verzinsten Anleihen ist überschaubar. Aber die internationalen Investoren sind geflüchtet. Es kaufen nur noch inländische Institute. Und da der staatliche griechische Bankenrettungsfonds HFSF an den Banken beteiligt ist, nehmen die Bankvorstände die T-Bills ganz folgsam in die Bücher.

Womit bezahlen die Banken diese Anleihen?

Frisches Geld bekommen die Geldhäuser zur Zeit ausschließlich über die viel zitierten "ELA"-Kredite (Emergency Liquidity Assistance). Diese Millionen-Spritzen werden von der Notenbank in Athen auf eigenes Risiko ausgegeben. Für diese Kredite müssen die Banken Sicherheiten hinterlegen, wofür sie unter anderem wiederum die vom Staat erworbenen T-Bills nutzen. So ist, der Not gehorchend, ein hübscher Kreislauf in Gang gekommen, der alle Beteiligten immer am Rande des Nervenzusammenbruchs agieren lässt aber die große Katastrophe noch verhindert. Sollten nun Banken als Käufer ausfallen, weil sie insolvent werden, fällt das fragile Finanzkonstrukt in sich zusammen und begräbt das Land unter sich.

Auch, weil es sich bei diesem Spiel um eine eigentlich verbotene Staatsfinanzierung handelt, wacht die EZB in Frankfurt darüber und entscheidet wöchentlich, wie viel ELA-Geld Gouverneur Stournaras verteilen darf. Diese Woche stieg die Summe um insgesamt 800 Millionen auf 74 Milliarden Euro. Das alleine ist noch kein Problem, im Sommer 2012, als die Banken schon einmal auf dem Trockenen lagen, flossen in der Spitze 158 Milliarden. Auch, weil damals noch niemand das Grexit-Risiko auf sich nehmen wollte. Jetzt sieht die Welt anders aus, ein Zahlungsausfall der Hellenen gilt als verkraftbar. Und EZB-Chef Mario Draghi machte diese Woche sehr deutlich, dass sich sein Haus an Regeln zu halten hat. Eine Anspielung darauf, dass ELA-Kredite nach dem EZB-Regelwerk nur an "solvente Banken" ausgegeben werden dürfen.

Wenn die Griechen jedoch weiter ihre Konten plündern, könnte die Europäische Bankenaufsicht in Frankfurt die Notbremse ziehen. Dann müssten Kapitalverkehrskontrollen eingeführt und die Bankschalter erst einmal ein paar Tage geschlossen werden. Die griechische Volkswirtschaft würde auf dem Trockenen sitzen.

Als wäre dieser Horror am Horizont nicht schlimm genug, knöpft sich jetzt auch die EU-Kommission Griechenlands Banken vor: etwa 30 Prozent ihres Eigenkapitals besteht nur aus Steuergutschriften des Staates, die sich aus Verlusten ergeben haben. Eigentlich unzulässig, aber nicht in Griechenland. Dabei könnte es sich, meinen die Brüssler Beamten zu Recht, um einen verbotenen Wettbewerbsvorteil handeln. Schwerer wiegt allerdings, dass eine Steuergutschrift des griechischen Finanzamts so viel wert ist wie eine Drachme.