stern-Analyse "Die Welt verstehen" Warum lieben die Griechen Tsipras und seine Minister?

Noch vor Wochen trauten sich griechische Minister nur im gepanzerten Wagen in die Öffentlichkeit. Die neuen Staatsdiener werden auf den Straßen gefeiert. Der stern sprach mit Menschen vor Ort.

Da ist diese Zahl: 80 Prozent. So viele der Griechen finden, die Regierung von Alexis Tsipras leiste gute Arbeit. Kann das sein, so viele? Steht dieses Land nicht am Abgrund, müssten die Leute nicht Angst haben, ihre Bankkonten leer räumen und das Geld unter ihren Kopfkissen verstecken?

Man geht also durch Athen, spricht mit den Menschen in Cafés, sieht den Leuten in die Gesichter. Und man merkt, es stimmt, die Griechen haben zum ersten Mal seit Jahren wieder Hoffnung. Einer sagt: "Die erste demokratische Regierung nach der Militärdiktatur, damals 1974, die hatte Zustimmungswerte um die 60 Prozent. Nach der Militärdiktatur! Können Sie sich vorstellen, was in den letzten Jahren hier passiert sein muss, dass es jetzt 80 Prozent sind?"

Liebe in der Krise

Obwohl die Krise nicht überwunden ist, obwohl die sozialen Probleme in Athen unübersehbar sind, die Obdachlosen, die Junkies, trotz alldem: die Lethargie ist weg. Die alte Regierung, im Ausland fürs Sparen gelobt, erhöhte vor allem die Steuern, nur nicht für ihre reichen Freunde. Wer in Griechenland dem Staat etwas schuldet, wird automatisch gepfändet, wenn er mehr als 1500 Euro auf dem Konto hat. Jetzt bewege sich etwas, denken viele, endlich bewege es sich zum Guten für die Griechen.

Positive Stimmung in Athen – hätte man sich vor ein paar Monaten nicht vorstellen können. Die alten Minister fuhren nur im gepanzerten Wagen durch die Stadt und engagierten für ihre Ministerien noch privaten Sicherheitsdienst, zusätzlich zur Polizei. Die neuen Minister gehen zu Fuß durch die Straßen, oft ohne Begleitschutz. Janis Varoufakis, dem Finanzminister, rufen Passanten auf einem Platz zu: Janis, fahr nach Brüssel und mach sie fertig!

"Wie kann man so einem Staat vertrauen?"

Es ist ein geschundenes Land. Kaum eine Familie, in der niemand arbeitslos ist oder vergebens auf Medikamente wartet. Sie spüren, dass Tsipras und seine Minister darum wissen. Weil er der erste Premier im modernen Griechenland ist, der nicht aus einer der mächtigen Familien stammt.

Ein deutsch-griechischer Unternehmer erzählt von seiner Arbeit, seit Jahren will er die Griechen von der Solarenergie überzeugen. Aber die staatliche Elektrizitätsgesellschaft senkte zuerst den Preis, zu dem sie Privatleuten Solarstrom abkaufte, überwies oft monatelang die Zahlungen nicht, zog aber währenddessen schon die Mehrwertsteuer ein. "Wie kann man so einem Staat vertrauen?", fragt der Unternehmer. Dann sagt er: "Mal sehen, wie neu die neue Regierung wirklich ist". Zum Staatspräsidenten ließ Tsipras einen Mann der konservativen Partei wählen, in der Schuldenfrage macht er Kompromisse. Der Solar-Unternehmer findet, Tsipras müsse sich treu bleiben.