Neues Gesetz Impfpflicht in Österreich: Eine Pflicht, die keine ist?

Die Österreicher sind weiterhin gegen die Impfpflicht
Auch das neue Gesetz kann das laute Nein zur Impfpflicht in Österreich nicht verstummen lassen.
© Georg Hochmuth / APA / DPA
Österreich hat die Impfpflicht eingeführt – zumindest auf dem Papier. Doch das Vorhaben steht vor dem Scheitern. Das stellt die Vorreiterrolle des Landes in Frage. Und könnte sich für die deutsche Politik noch als lehrreich erweisen.

Es hatte lange gedauert. Den ganzen Tag über diskutierten die Abgeordneten über das Für und Wider einer allgemeinen Impfpflicht. Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden, denn Österreich wäre das erste Land in Europa, das eine Impfpflicht einführt. Am Abend war es dann so weit: 137 Parlamentarier stimmten für das neue Gesetz, 33 dagegen. Ganz so überraschend kam das Urteil dann aber doch nicht. Schon im Vorfeld hatte sich eine Mehrheit abgezeichnet – was möglicherweise am rigiden Vorgehen der Regierung lag.

Die österreichische Koalition hatte ein Gesetz vorgelegt, über das die Mitglieder im Nationalrat abstimmen konnten. Was in Österreich passiert ist, lässt die deutsche Politik vermissen. Statt die Impfpflicht ebenfalls mit Überzeugung durchzudrücken, begnügt man sich hierzulande mit einem Eiertanz. Olaf Scholz und Karl Lauterbach lassen zwar geflissentlich wissen, dass sie eine Impfpflicht begrüßen. Allerdings will man es sich nicht mit der Bevölkerung verscherzen. Die Entscheidung sollen deshalb allein die von der Bevölkerung gewählten Abgeordneten fällen – Umsetzung inklusive. Erste Vorschläge liegen bereits vor, finden derzeit aber keine Mehrheit unter den Parlamentarieren.

Den Vorstoß Österreichs könnte man daher als konsequent bezeichnen. Das neue Gesetz war trotz zahlreicher Bedenken von Epidemiologen und Behörden durchgesetzt worden. Doch nicht mal eine Woche nachdem die neue Regelung in Kraft getreten ist, bröckelt das Image des Vorreiters. Statt das Gesetz mit aller Härte umzusetzen, boykottiert die Regierung ihr ambitioniertes Vorhaben selbst.

Keine Rahmenbedingungen für die Impfpflicht

Das hängt vor allem mit der Umsetzung zusammen. Ein Stufenplan sollte das Problem lösen. Ungeimpfte sollten so in den ersten Wochen mit zusätzlichen Informationen und Mahnungen an die Nadel gebracht werden. Zusätzlich sollten stichprobenartige Kontrollen durchgeführt werden. Wer sich dennoch verweigert, dem droht die Regierung mit gestaffelten Verwaltungsstrafen. Alle paar Wochen könnte so ein Bußgeld von 600 Euro fällig werden. Maximal würden Ungeimpfte 3600 Euro für ihren Status bezahlen. Wer das nicht kann, wandert kurzzeitig ins Gefängnis. All das sollte für Personen ab 18 Jahren gelten.

Doch das Vorhaben wurde von Beginn an verwässert. So gilt etwa am Arbeitsplatz immer noch die 3G-Regel. Und selbst die gilt laut Österreichischem Gewerkschaftsbund nur an Orten, wo Menschen miteinander in Kontakt treten. Lkw-Fahrer, die allein in ihrer Kabine sitzen oder Förster sind etwa von der Regel ausgenommen, müssen nicht einmal einen negativen Test vorweisen. Beschäftige in Pflegeeinrichtungen müssen zwar einen 2G-Nachweis vorlegen – allerdings können auch sie diesen umgehen, wenn sie einen negativen PCR-Test vorweisen können. Dieser darf nicht älter als 72 Stunden alt sein, Wien bildet mit 48 Stunden eine Ausnahme.

Wenig ernst zu nehmen dürfte die Impfpflicht auch deshalb sein, weil die Regierung Anfang des Monats eine allgemeine Lockerungswelle losgetreten hatte. Ab dem 12. Februar entfällt etwa die 2G-Regel im Handel. Eine Woche später sollen der Tourismus und die Gastronomie folgen. Die österreichische Küche lässt sich dann wieder ohne Impf- oder Genesenennachweis, aber dafür mit einem negativen Coronatest genießen. Zudem entfiel bereits vor über einer Woche der Lockdown für Ungeimpfte.

Haben es die Österreicher mit dem Gesetz doch nicht so ernst gemeint?

Wenn das Zuckerl wegschmilzt

Die angekündigten Anreize sind zumindest ein weiteres Indiz dafür. Mit Zuckerbrot und Peitsche wollte man die Menschen in die Impfzentren treiben. Als Zuckerl war eine Impflotterie angedacht – ein Mittel, um nicht ganz so rigoros daherzukommen. Jeder zehnte Geimpfte hätte Gutscheine im Wert von 500 Euro gewinnen können. Das Projekt wollte sich der Staat eine Milliarde Euro kosten lassen. Doch jetzt liegt es brach. Quergestellt hatte sich Österreichs größter öffentlich-rechtlicher Sender ORF. Der hatte in Eigenregie bereits im Herbst eine ähnliche Aktion gestartet. Sich von der Politik dafür instrumentalisieren lassen, wollte sich der Sender aber nicht und weigerte sich "Regierungsaufträge" entgegenzunehmen.

"Die Gespräche mit dem ORF haben ergeben, dass der ORF sich – aufgrund rechtlicher Bedenken – außerstande sieht, dieses Vorhaben organisatorisch abzuwickeln beziehungsweise dieses Projekt zu unterstützen", erklärte die österreichische Bundesregierung. Ein Anwalt, der den Sender dazu beraten hatte, erklärte, es sei unrechtmäßig Menschen dafür zu bezahlen, sich an geltendes Recht zu halten. Gegen die Aktion des ORF aus dem Herbst sei allerdings nichts einzuwenden, da es sich um Anreize zum freiwilligen Impfen gehandelt habe.

Impfgegner machen Druck

Gegenwind gibt es auch aus der Bevölkerung. Das war allerdings nicht anders zu erwarten gewesen. Österreichs Bürger gelten als besonders impfskeptisch. Die Impfquote liegt derzeit bei knapp 70 Prozent unter den doppelt Geimpften. Knapp 76 Prozent sind einfach geimpft, immerhin etwas mehr als die Hälfte der Bürger hat bereits eine Auffrischung erhalten (Stand 10. Februar 2022).

Das laute Nein gegen die Impfpflicht zeigt sich unter anderem im Ergebnis einer Gemeinderatswahl in Niederösterreich. Dort verlor die konservative ÖVP 20 Prozentpunkte – während die impfskeptische Partei Menschen, Freiheit, Grundrechte (MFG) aus dem Stand auf 17 Prozent kam. "Es herrscht großes Systemmisstrauen", sagte Günther Ogris vom Sora-Institut in Oberösterreich, der das Stimmverhalten der MFG-Wähler untersucht hat. Die Partei wurde im vergangenen Jahr gegründet und hat bereits in anderen Regionen Siege errungen. Langlebig dürfte sie aber nicht sein, schätzt Ogris. Er geht davon aus, dass die Partei nach der Pandemie wieder verschwindet.

Doch die türkis-schwarze Koalition muss ihre Impfpflicht nicht nur politisch verteidigen. Wie bereits von Rechtsexperten erwartet, ist beim Verfassungsgerichtshof ein erster Antrag zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eingegangen. Nach Einschätzung von Juristen dürfte es der Auftakt für viele entsprechende Klagen sein. "Gesetzprüfungsverfahren dauern am VfGH in der Regel zwischen vier und sechs Monaten, eine im internationalen Vergleich kurze Zeitspanne", teilte ein VfGH-Sprecherinmit. Auch die Einsprüche gegen Strafen der Verwaltungsgerichte wegen Verstößen gegen die Impfpflicht können letztlich beim VfGH landen.

Deutsche Lehrstunde

Zuletzt wurde in österreichischen Medien immer wieder die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht diskutiert. Durch die Omikron-Variante könnte sie obsolet werden. Und auch die geringe Auslastung der Krankenhäuser, mit der die Regierung noch ihre Lockerungsambitionen begründete, lässt die Impfpflicht wackeln.

Wie auch immer die Geschichte mit der österreichischen Impfpflicht am Ende ausgeht: Für Deutschland ist sie schon jetzt ein lehrreiches Beispiel. Das Konzept sollte vorher gründlich überdacht werden, ehe es in Windeseile umgesetzt wird. Das beinhaltet rechtliche und epidemiologische Rahmenbedingungen. Seit Wochen sagen Experten: Die Impfpflicht ist laut aktuellem wissenschaftlichem Stand kein wirksames Mittel gegen die Omikron-Variante. Das macht sie möglicherweise obsolet. Inwiefern sie im Sommer, wenn die Inzidenzen ohnehin wieder rückläufig sind, haltbar ist, ist ebenfalls fraglich.

Diese Fragen sollte die Bundesregierung zumindest im Hinterkopf behalten – denn gegenwärtig rückt eine allgemeine Impfpflicht wieder in die Ferne. Wenn schon die einrichtungsbezogene Impfpflicht wackelt, wie sollte diese Maßnahme flächendeckend Bestand haben?