Arbeitsrecht und Corona Muss ein Arbeitnehmer seinen Impfstatus offenlegen? Ein Arbeitsrechtler klärt auf

Impfpflicht: Ein Impfbuch liegt auf einem Tisch
Darf ein Arbeitgeber im Falle einer Impfpflicht von seinen Angestellten verlangen, ihren Impfstatus offenzulegen? Ein Abstecher in einen Dschungel aus Datenschutz- und Arbeitsrecht
© Fabian Sommer / DPA
Bis (oder falls) die Impfpflicht kommt, wird es reichlich kompliziert – politisch, ethisch, rechtlich. Denn die Frage, ob Arbeitgeber über den Impfstatus ihrer Angestellten Bescheid wissen dürfen, bereitet jetzt schon Kopfschmerzen. Ein Erklärungsversuch. 

Mit der Orientierungsdebatte über eine allgemeine Corona-Impfpflicht haben die Bundestagsabgeordneten die Diskussion über die wahrscheinlich umstrittenste, emotionalste sowie ethisch und rechtlich komplizierteste Frage seit Pandemiebeginn offiziell ins Rollen gebracht. Zwar ist einer aktuellen Umfrage des "ZDF Politbarometers" zufolge mit 62 Prozent der Wahlberechtigten weiterhin ein Großteil der Bevölkerung für eine Pflicht-Immunisierung.

Doch geht es nicht nur um das Ob, sondern auch um das Wie. Für welche Altersgruppe soll die Impfpflicht gelten? Wer kontrolliert ihre Einhaltung? Welche Strafen gelten für Uneinsichtige? All das dürfte in den kommenden Wochen für reichlich Zank sorgen – auf und abseits des Platzes der Republik.

Wie unglaublich mühsam diese Debatte ausfallen dürfte, lässt sich an einer vermeintlich simplen Frage ablesen: Darf ein Arbeitgeber von seinen Angestellten verlangen, ihren Impfstatus offenzulegen? Ein Abstecher in den Dschungel aus Datenschutz- und Arbeitsrecht.

Auskunftspflicht heute: ein ausgefranster Flickenteppich

Aber von vorne. Nach aktueller Gesetzeslage gilt die sogenannte Auskunftspflicht, also die verpflichtende Offenlegung des Impfstatus, laut Infektionsschutzgesetzes nur für Beschäftigte in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen. Dazu zählen unter anderem Kindergärten und Schulen, stationäre und ambulante Pflegedienste sowie Obdachlosen- und Asylunterkünfte. Hinzu kommen medizinische Einrichtungen – sprich: vor allem Krankenhäuser. Sinn und Zweck liegen auf der Hand: besonders bedrohte, oder "vulnerable" Menschen, wie es im Gesetzestext heißt, sollen vor dem Virus geschützt werden.

Das heißt allerdings (noch) nicht, dass Ungeimpfte in diesen Bereichen nicht arbeiten dürfen – bislang reicht ein Negativtest hier aus. Natürlich arbeiten in Krankenhäusern und Kindergärten nicht nur Ärzte und Erzieher – auch Reinigungskräfte, Hausmeister oder Kantinenmitarbeiter gehen hier täglich ein und aus. Für sie gelten allerdings dieselben Regeln – schließlich haben auch diese Mitarbeiter potenziell Kontakt mit den gefährdeten Menschen.

Für alle anderen Beschäftigten, die nicht im Homeoffice arbeiten können oder wollen, gilt lediglich die 3G-Regel am Arbeitsplatz. Sie müssen beim Betreten des Unternehmens mindestens einen aktuellen, negativen Test vorzeigen. Ihren Impfstatus können Arbeitnehmer freiwillig hinterlegen. Eine Auskunftspflicht besteht hier aber nicht.

So einfach? Natürlich nicht. Denn an dieser Stelle kommt man um den beliebten "Flickenteppich" nicht herum. Die Bundesländer gewähren den Unternehmen unterschiedlich weitreichende Rechte, wenn es um das Erfragen des Mitarbeiterimpfstatus geht, erklärt Marc André Gimmy, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeitsrecht der Bundesanwaltskammer im Gespräch mit dem stern. Da hilft am Ende nur der leidige Blick in die jeweilige Corona-Schutzverordnung. "Es ist ein Wahnsinn: Dieses Regel-Wirrwarr kann man keinem normalen Arbeitnehmer mehr erklären. Das ist vor allem das Resultat einer katastrophalen Kommunikation", kritisiert der Jurist. 

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Was erwartet ungeimpfte Arbeitnehmer im Quarantänefall?

Und dann wären da noch die Ausnahme-Regelungen im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlung im Quarantänefall: Seit dem 1. November 2021 haben ungeimpfte Arbeitnehmer, die sich als Kontaktperson in Quarantäne begeben müssen, keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Eine Entgeltfortzahlung erhalten sie auch nicht, "da sie ja nicht arbeitsunfähig erkrankt sind", so Gimmy.

Anders sieht es wiederum aus, wenn ein ungeimpfter Arbeitnehmer sich tatsächlich und nachweislich mit dem Virus infiziert. In diesem Fall ist er – wie bei jeder anderen Erkrankung – arbeitsunfähig und hat den üblichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für bis zu sechs Wochen. Was aber passiert, wenn sich ein ungeimpfter Mitarbeiter zwar mit Corona ansteckt, aber keine oder allenfalls milde Symptome hat? In den meisten Fällen erhält er dennoch Entgeltfortzahlung, erklärt Gimmy. Eine konkrete Rechtsprechung läge dazu aber noch nicht vor.

Der Teufel steckt also wie immer im Detail. Allgemein lässt sich festhalten: Steckt sich ein Arbeitnehmer an, hat der Arbeitgeber das Recht, den Impfstatus abzufragen – schließlich muss er die Entschädigungsansprüche prüfen. 

Einrichtungsbezogene Impfpflicht: ein Salto rückwärts?

Soviel zum (Impf-)Status Quo. Nun rückt allerdings der 16. März immer näher – und damit der Start der sogenannten einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Ab dann müssen alle Beschäftigten in Pflege- und medizinischen Berufen genesen oder geimpft sein. Wer nicht spurt, dem droht in letzter Instanz der Jobverlust. So die Theorie.

Beschlossen wurde das Ganze vom Bundestag und Bundesrat am 10. Dezember vergangenen Jahres. Ungeimpften Mitarbeitern in medizinischen Bereichen blieben demnach rund drei Monate, um sich vollständig – das heißt zweifach – zu impfen. Eigentlich hat also jeder bis dato Ungeimpfte ausreichend Zeit gehabt einen Sinneswandel zu vollziehen. "Allerdings ist in praktischer Hinsicht die Tatsache nicht zu unterschätzen, dass es in den Wintermonaten vermehrt zu Erkrankungen kommt, die die betroffenen Personen von der Wahrnehmung eines Impftermins abhalten können. Hinzu kam im Dezember die Weihnachtszeit mit vielen Feiertagen, an denen die Impfbereitschaft tendenziell sinkt. Daher dauert die Umsetzung einer vollständigen Impfung in der Praxis häufig länger als drei Monate", gibt Fachanwalt Gimmy zu bedenken.

Ob ungeimpfte Arbeitnehmer nach Ablauf der Frist tatsächlich nicht mehr arbeiten dürfen, ist ohnehin eine ganz andere Sache. Denn am Ende muss das zuständige Gesundheitsamt jeden dieser Fälle einzeln prüfen. Wenig verwunderlich also, dass ein Sprecher des Gesundheitsamts am Dienstag indirekt zurückruderte: "Bis das Gesundheitsamt die Entscheidung über ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot getroffen hat, dürfen die betroffenen Mitarbeitenden grundsätzlich weiterbeschäftigt werden." Die Gesundheitsämter gehen davon aus, dass bei fünf bis zehn Prozent der Beschäftigten der Impfstatus unklar sei, sagte Elke Bruns-Philipps, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes gegenüber der "Rheinischen Post". Nun müsste jeder dieser Fälle einzeln vom Gesundheitsamt geprüft werden. Das zieht sich.

"Man hat einfach festgestellt, dass das Ganze nicht umsetzbar ist. Denn die Behörden denken sich natürlich salopp gesagt: 'Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?! Was sollen wir denn noch alles machen?'", sagt Gimmy. Und natürlich hätten die Krankenhäuser und Pflegeheime auch Angst, dass ihre Mitarbeiter lieber kündigen, anstatt sich impfen zu lassen. Tatsächlich hatten sich im Dezember und Januar laut der Bundesagentur für Arbeit etwa 25.000 mehr Menschen aus dem Gesundheits- und Sozialsektor arbeitssuchend gemeldet als üblich – davon ungefähr 12.000 aus der Pflege.

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© ROBIN UTRECHT/ / Picture Alliance
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Ganz abgesehen davon sei der Arbeitgeber in der Regel nicht qualifiziert, eine genaue Kontrolle des Impfstatus vorzunehmen – das können nur Fachkräfte, meint Jurist Gimmy. Denn: Weigert sich ein Mitarbeiter im medizinischen Bereich auch über den 16. März hinaus, sich impfen zu lassen, droht im schlimmsten Fall ein Beschäftigungsverbot. Das kann weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen: Zum einen erhält er logischerweise kein Gehalt. Zum anderen bekommt er aber wahrscheinlich auch kein Arbeitslosengeld – schließlich ist er formell noch angestellt. "Das hätte der Gesetzgeber einmal zu Ende denken müssen", gibt Gimmy zu bedenken.

Daten- versus Infektionsschutz

Fast vergessen: Was ist mit dem Datenschutz? Schließlich handelt es sich beim Impfstatus um äußerst sensible und damit besonders geschützte Informationen. Im Prä-Corona-Zeitalter wären solche Fragen unzulässig gewesen – denn Gesundheitsdaten sind in erster Linie Privatsache. Aber wie immer sind Ausnahmen die Regel. In speziellen Fällen (zum Beispiel bei Piloten) dürfen Arbeitgeber einen medizinischen Tauglichkeitsnachweis von ihren Mitarbeitern fordern – der wiederum werde immer von einem Facharzt erstellt und enthalte niemals persönliche Information. "Dann heißt es nur: XY ist tauglich – oder eben nicht", erklärt Gimmy. Zusammengefasst: Nur, wenn es für die Ausübung einer Tätigkeit unbedingt erforderlich ist, darf ein Arbeitgeber Gesundheitsdaten erfragen – und selbst dann auch nur rudimentär. Das Weitergeben konkreter Informationen ist tabu.

Zurück in die Gegenwart. Im Rahmen des Infektionsschutzes sei es die eine Sache, wenn der Arbeitgeber über den Impfstatus seiner Mitarbeiter Bescheid weiß, so Gimmy. Im Falle einer Impfpflicht sei dies sogar Voraussetzung für die "Erfüllung des Arbeitsverhältnisses". Eine völlig andere Sache wäre es aber, wenn ein Unternehmen diese Daten an Dritte – also an das Gesundheitsamt – weitergeben soll. Das dürfte noch aus verfassungs- und datenschutzrechtlicher Sicht für reichlich Kopfschmerzen sorgen, so der Jurist. Denn darüber, ob eine Corona-Impfung außerhalb medizinischer Einrichtungen notwendig ist, damit Mitarbeiter ihrem Job nachgehen können, ließe sich zumindest streiten.

Die Arbeitswelt in Zeiten der Impfpflicht: ein Blick in die Glaskugel

Welche Regeln in den kommenden Monaten am Arbeitsplatz gelten, hängt in erster Linie davon ab, ob überhaupt eine allgemeine Impfpflicht beschlossen wird, und wenn ja, welche Gruppen sie in welchem Ausmaß betrifft. Sollte eine strenge Impfpflicht in Kraft treten, wären ungeimpfte Arbeitnehmer schlichtweg nicht arbeitsfähig, ist sich Rechtsexperte Gimmy sicher. "Deshalb gibt es schon jetzt erhebliche arbeitsrechtliche Zweifel daran, dass eine allgemeine Impfpflicht überhaupt umsetzbar ist", so der Anwalt. Würden ungeimpfte Mitarbeiter im Rahmen einer allgemeinen Impfpflicht freigestellt oder gekündigt, müsse zum Beispiel auch der daraus resultierende Verdienstausfall der Unternehmen mitberücksichtigt werden. Denn: Wenn Arbeitgeber Aufträge nicht durchführen können, weil sie auf einmal in einen Personalmangel schlittern, könnten Kunden zudem Schadensersatzansprüche stellen. Gimmy fürchtet zudem, dass die Regierung die Verantwortung bei der Kontrolle ein Stück weit auf die Unternehmen abwälzt: "Ehrlich gesagt wäre es eine Zumutung für Arbeitgeber, wenn sie den Impfstatus ihrer Mitarbeiter prüfen müssten. Das ist nicht deren Aufgabe, sondern die der Behörden!"

Dies war nur ein (kurzer!) Einblick in den Dschungel des Arbeitsrechts. Allerdings stehen vor Inkrafttreten einer allgemeinen Impfpflicht auch noch ethische, politische und verfassungsrechtliche Mammutaufgaben bevor. "Ich bin Fachanwalt für Arbeitsrecht – und mir fällt es jetzt schon wirklich schwer, den Überblick zu behalten", resümiert Gimmy. Wie die Arbeitswelt in Zeiten der Impfpflicht aussehen könnte, bleibt also bisher ein Blick in die Glaskugel. Und die ist ziemlich milchig.

Quellen: Infektionsschutzgesetz, Bundesgesundheitsministerium; Deutscher Gewerkschaftsbund; mit Material der Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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