Inaugurationsfeiern "Die Stimmung erinnert an Woodstock"

  • von Nana Gerritzen
Millionen Menschen haben auf den Straßen Washingtons die Inauguration Barack Obamas als US-Präsident verfolgt und gefeiert. Die Stimmung unter den Zuschauern schwankte zwischen euphorisch und tief bewegt - und erinnerte einige an ein legendäres Musikfestival.

Einen kurzen Moment herrscht völlige Stille, dann bricht der Jubel aus. Vergessen scheinen die Stunden in der Kälte, die überfüllten U-Bahnen und die scharfen Sicherheitskontrollen. Die National Mall ist ein einziges johlendes Meer aus Millionen von Menschen und hunderttausenden wehenden Fahnen. Alte und Junge, Familien, Freunde und völlig Fremde liegen sich in den Armen. Vielen treibt die Überwältigung die Tränen in die Augen. Als ein Mädchen seine Mutter fragt: "Mami, warum weint Du denn?", erwidert die dunkelhäutige Frau: "Das hier ist Teil unserer Geschichte, jetzt sind wir wirklich alle gleich."

Auf den Stufen des Capitols, unter strahlend blauem Himmel, hat Barack Obama Minuten zuvor Geschichte geschrieben. Mit dem Ablegen des Eides "Ich, Barack Hussein Obama, schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten gewissenhaft ausführen und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften wahren, schützen und verteidigen werde - so wahr mir Gott helfe", ist er der erste schwarze Präsident in der Geschichte der USA.

U-Bahnen voller als zur Rush Hour

Stunden vor dem Sonnenaufgang geht es los. Gegen fünf Uhr früh sind Straßen und U-Bahnen überfüllter als normalerweise zur Rush Hour. Tausende, Millionen wollen sich einen guten Platz sichern und Augenzeuge dieses historischen Ereignisses sein. Einer von ihnen ist Anthony Francis. Mit seiner Frau und seiner Schwester ist der 49-Jährige Bauunternehmer extra aus Trinidad angereist. Wie so viele will auch er den neuen Präsidenten bei seinem Einzug ins Weiße Haus beobachten. "Mir ist es egal, dass er schwarz ist", sagt Francis. "Er scheint einfach ein guter Mann für den Job zu sein." Obama bringe die Leute zusammen: "Alte und Junge, Schwarze und Weiße."

"Die ganze Welt feiert heute eine Party, da muss man einfach dabei sein", erklärt Diego, ein 28-jähriger Student aus Los Angeles. Der diesjährige Inauguration Day ist für ihn "die größte Feier unserer Zeit." Damit beschreibt er ziemlich genau, was an diesem Dienstag in der US-Hauptstadt vor sich geht. Millionen sind nach Washington gepilgert, um ihr Idol zu sehen. Obama ist der Super-Präsident, zumindest heute. Und zumindest heute geht es noch nicht um Politik, sondern um die Feier des lang ersehnten Stars. Mit Obama-Souveniren, Fahnen und einer hollywoodreifen Inszenierung am Capitol. Für die musikalische Unterhaltung sorgen Soul-Diva Aretha Franklin und Film-Komponist John Williams, der mit Soundtracks zu "Star Wars" und "Der weiße Hai" berühmt geworden ist.

Stimmung wie beim Woodstock-Festival

Die Hände tief in den Manteltaschen vergraben beobachtet Karen Schurman das Spektakel auf einem der Riesenbildschirme entlang der Prachtmeile National Mall. In den Bereich unmittelbar vor das Capitol hat es die pensionierte Schulleiterin nicht geschafft, "der wurde schon um halb sieben dichtgemacht." Enttäuscht ist die 62-Jährige aber nicht. Die Stimmung sei ähnlich wie beim Woodstock-Festival vor 40 Jahren, da war sie auch dabei. "Das zeigt doch, was Obama den Menschen bedeutet", sagt sie. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin hat Schurmann schon vor Monaten, lange bevor klar war, wer gewinnen würde, beschlossen, zum Inauguration Day 2009 nach Washington zu fahren. "Wir dachten, ein historischer Tag wird es in jedem Fall: Entweder kriegen wir den ersten schwarzen Präsidenten oder die erste Frau als Vizepräsidentin."

Das Versprechen, die Vereidigung zur "öffentlich zugänglichsten in der Geschichte der USA" zu machen, konnte das Vereidigungskomitee allerdings nicht einhalten. Ganze Straßenblocks rund um die Innenstadt sind nicht nur für den Verkehr, sondern auch für Fußgänger gesperrt. Mit drei Meter hohen Zäunen und zehntausenden Soldaten gleicht Washington einer militärischen Sperrzone. Eine Maßnahme, um die Gefahr von Terroranschlägen und anderen Zwischenfällen so gering wie möglich zu halten, wie der US-Geheimdienst erklärt.

Nah dran und trotzdem nicht dabei

Acquanette Riley ist deshalb schon etwas enttäuscht. Die Afroamerikanerin konnte ihren Mann und die fünf Töchter erst auf den letzten Drücker davon überzeugen, vom 900 Kilometer entfernten Georgia nach Washington zu fahren und war die ganze Nacht unterwegs. "Für mich ist es wichtig, zu wissen, dass auch ein Schwarzer mit Fleiß, Verstand und Arbeit alles erreichen kann, sogar Präsident werden", erklärt die Grundschullehrerin. "Aber jetzt sind wir so nah dran trotzdem nicht richtig dabei." Man muss sich eben entscheiden, ob man "Teil der Geschichte" sein will oder lieber zu Hause vor dem Fernseher sitzt und die Ereignisse aus der Ferne, dafür aber genau, beobachtet, wie am Wochenende die "Washington Post" geraten hatte.

Doch manche haben auch beides geschafft. Für einen Stehplatz am Weißen Haus, direkt an der Paradestrecke, ist die Unternehmensberaterin Claudia Ruffin aus New Jersey um viertel vor vier aufgestanden. "Natürlich wollte ich Teil der Geschichte sein", sagt sie. "Mit Obamas Wahlsieg hat sich die Lücke zwischen schwarz und weiß endlich geschlossen." Aber auch unabhängig von seiner Hautfarbe glaubt sie an den Nachfolger von George W. Bush. "Ich mag seine Art und bin gespannt, wie er seine Ideen während der Präsidentschaft umsetzen wird." Doch, so betont sie, heute sei kein Tag, um über politische Fragen zu diskutieren. "Heute ist ein Feiertag."

Partys und Bälle überall

Nach den Ereignissen des Tages gab es am Abend überall in der Stadt Partys und Bälle, zahlreiche Restaurants boten spezielle Festtags-Menüs an. Zu den offiziellen Inaugurations-Bällen wurden neben dem frisch gebackenen Präsidenten samt First Lady weitere prominente Gäste erwartet. So sollten unter anderem Stevie Wonder, Kid Rock und Alicia Keys auftreten. Auch Unternehmensberaterin Claudia Ruffin wollte trotz der Strapazen des Tages noch weiterfeiern und versuchen, eine Karte für den Nachbarschaftsball, die erste offizielle Inaugurations-Party für nicht-geladene Gäste, zu ergattern.

Dort ging am Abend auch für Obama der Partymarathon weiter. Gemeinsam mit Ehefrau Michelle tanzte er zum Etta James-Klassiker "At last", gesungen von Beyoncé Knowles. Bis in die frühen Morgenstunden wollte er mindestens neun weitere Bälle besuchen. Zeit zum Regieren ist Morgen.