Interview mit Gouverneur Sergej Taruta "Russland zettelt gezielt Unruhe in Donezk an"

Stahlmagnat Sergej Taruta ist Gouverneur in Donezk an der russischen Grenze. Er fleht um westliche Hilfe und beobachtet "russische Touristen" mit Argwohn. Angst vor einem Referendum hat er nicht.

Russland soll Panzerdivisionen an die ukrainische Grenze geschickt haben. 30.000 russische Soldaten sind dort angeblich stationiert, nur wenige Kilometer von Donezk entfernt. Haben Sie Angst vor einer Invasion, einem Krieg?

Ich bin ein friedlicher Mensch und setze auf friedliche Lösungen. An etwas anderes mag ich gar nicht denken. Russland ist für mich immer ein Partner gewesen, und die Menschen hier fühlen genauso. Unsere Länder sind eng und freundschaftlich miteinander verbunden. Viele haben Angehörige in Russland, Geschwister, Eltern, Kinder.

Wie sieht es derzeit an der Grenze aus?

Auch auf ukrainischer Seite wurden jetzt zusätzliche Kontingente stationiert. Unser Militär hat die Grenze weiter befestigt, mit einem Graben gegen Panzer gesichert.

Wünschen Sie sich mehr Unterstützung aus dem Ausland?

Ich bedauere sehr, dass das Budapester Memorandum nicht eingehalten wird. Die Ukraine hat sich darin 1994 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verpflichtet, auf seine Atomwaffen zu verzichten. Im Gegenzug hatten die USA, Großbritannien und Russland militärische Unterstützung im Falle von Gebietsansprüchen zugesagt. Es ist ein sehr schlechtes Zeichen für alle Abkommen, die auf der Welt noch unterzeichnet werden, dass ein solches Memorandum einfach gebrochen werden kann.

Wie sollte der Westen die Ukraine, insbesondere den Osten, jetzt unterstützen?

Ohne westliche Finanzhilfe können wir die Menschen hier nicht beruhigen. Die brauchen wir schnell. Der ehemalige Präsident Wiktor Janukowitsch hat uns leere Kassen hinterlassen. Ich habe gehört, dass der IWF das Geld erst im Mai auszahlen will. Aber das ist zu spät. Wir brauchen vor allem Hilfe in den nächsten zwei, drei Monaten, um Haushaltslücken zu schließen. Die erste Tranche muss sofort kommen. Man kann weiter darüber reden, wie die Mittel am besten effektiv eingesetzt werden. Der IWF sollte jetzt auch nicht auf unpopuläre Maßnahmen bestehen. Wir brauchen auch humanitäre Hilfe. Darüber sprechen wir mit westlichen Politikern, haben den deutschen Außenminister um Hilfe gebeten, der vergangene Woche in Donezk war. Die soziale Lage darf hier nicht eskalieren.

Weil Russland das ausnutzen würde?

Unsere Sicherheitsorgane beobachten, wie Menschen aus Russland und aus der Krim einreisen und systematisch Unruhen anzetteln. Ein Teil von ihnen wurde speziell vorbereitet. Sie haben eine gute Schule durchlaufen. Diese Leute wenden sich an die aggressivsten und gewaltbereitesten unter den Unzufriedenen in Donezk. Diese "Touristen", wie wir sie nennen, handeln nicht aus ideologischen Gründen, sondern nach einem Drehbuch, das Russland vorgibt.

Wie unzufrieden sind die Menschen in der Region Donbass mit der neuen Regierung in Kiew?

Hier sind viele Menschen nicht einverstanden mit der Regierung. Sie gucken ständig russische Fernsehprogramme. Dort wird nicht gezeigt, was wirklich in Kiew passiert. Die Menschen werden systematisch desinformiert, die Informationen völlig verdreht.

Wie würde hier ein Referendum ausgehen, in dem die Menschen gefragt werden, ob sie zu Russland gehören wollen?

Die Menschen hier sprechen Russisch, sind aber keine Russen. Sie fühlen sich als Ukrainer. Wenn es hier ein faires Referendum geben würde, dann würde sich eine Mehrheit ohne Zweifel gegen den Anschluss an Russland entscheiden. Hier leben keine beleidigten Russen, hier leben beleidigte Ost-Ukrainer. Sie sind unzufrieden mit ihrem Lebensstandard. Deshalb ist es das Wichtigste, jetzt Löhne pünktlich auszuzahlen, keine sozialen Eskalationen zuzulassen.

Wie stark ist die Protestbewegung hier?

Als ich meinen Job angetreten hatte, war es hier alles andere als ruhig. Die Polizei war völlig demoralisiert, sie heizte diese Stimmung sogar an. Überall hingen russische Flaggen. Hier gab es noch aggressive Attacken, Gebäude wurden gestürmt, es gab sogar einen Toten. Jetzt ist es viel ruhiger. Wir haben die Grenzkontrollen verschärft. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen, aber es darf keine Ausschreitungen geben. Die Polizei arbeitet wieder. Wichtig ist, dass wir mit den Menschen sprechen. Bürgermeister, Unternehmer, Abgeordnete, sie alle müssen auf die Unzufriedenen zugehen.

Kümmert sich die Regierung in Kiew genug um die Menschen im Osten?

Nein, sicher nicht. Unser Land ist von einer Spaltung bedroht. Es gab Pläne, Ukrainisch wieder zur alleinigen Amtssprache zu machen, was der Präsident durch sein Veto verhinderte. Es sollten auch Visa für Russen eingeführt werden, was ebenfalls nicht umgesetzt wurde. Diese Diskussionen regen die Menschen hier sehr auf. Wir dürfen nicht mit Abgrenzung reagieren. Die Abgeordneten im Parlament müssen sich zurück halten, sie dürfen nicht aggressiv auftreten. Vielen Menschen hier haben die Aktionen auf dem Maidan nicht gefallen. Es gibt immer noch bewaffnete Barrikadenkämpfer, etwa des Rechten Sektors. Die müssen alle entwaffnet werden.

Sie wollten eigentlich nie in die Politik. Was hat Sie überzeugt davon, Gouverneur zu werden?

Mir wurde dieser Posten schon oft angeboten, ich habe immer abgelehnt. Die Sorge um eine mögliche Spaltung des Landes hat mich dazu bewegt.

Im Nachbargebiet Dnipropetrowsk ist der Oligarch Igor Kolomojskij Gouverneur. Was können Unternehmer besser als Politiker?

Unternehmen zu führen ist sehr schwierig, wir sind also gut vorbereitet. Auch die Verwaltungen müssen heute lernen, effektiv zu wirtschaften. Gebraucht werden kompetente Manager, die in der Region Respekt genießen.

Viele kritisieren die Oligarchen für ihre Macht. Die Menschen auf dem Maidan wünschen sich eine Ukraine ohne Oligarchen.

Ich sehe mich nicht als Oligarch, sondern als erfolgreicher Unternehmer. Ich war nie an der Macht, deshalb konnte ich mich dadurch auch nie bereichern. Mein Unternehmen ist vollständig transparent.

Auch Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, soll zuerst gefragt worden sein, ob er Gouverneur von Donezk wird. Aber er lehnte ab. Sind Sie in Kontakt?

Er hat viele andere Aufgaben und mich deshalb darum gebeten. Wir haben ein gutes Verhältnis. Auch er steht für die Einheit des Landes, Stabilität. Wir brauchen hier auch ein gutes Investitionsklima. Achmetow hat mir seine Hilfe versichert und wir sprechen auch die Strategie ab.

Müssen die Regionen in der Ukraine eigenständiger werden?

Wir brauchen mehr Vollmachten vor Ort. Wenn es hier Probleme gibt, schieben die Beamten alles auf Kiew. Läuft es gut, ist es ihr Verdienst. Überall muss mehr Verantwortung übernommen werden. Die Budgets überall müssen transparent sein. Es gab gute Reformen zur Dezentralisierung in Estland, der Slowakei und Polen. Daran wollen wir uns orientieren.

Was würde es für Sie als Unternehmer bedeuten, wenn Russland auch das Gebiet Donezk annektiert?

Ich hoffe, dass die Ukraine und Russland eines Tages zur europäischen Gemeinschaft gehören werden. Denn ich wünsche mir, dass sich auch Russland wirtschaftlich und politisch in Richtung Demokratie entwickelt. Die Menschen hier wollen besser leben. Wie in Polen, nicht wie in Russland.

Interview: Bettina Sengling