Irak-Krieg Washingtons bittere Wahrheiten

Nie habe die CIA den Irak als "unmittelbare Gefahr" eingestuft, räumte überraschend CIA-Chef George Tenet jetzt erstmals öffentlich ein. Als die Kriegsallianz einmarschierte, gab es kaum gesicherte Erkenntnisse über irakische Waffensysteme.

CIA-Chef George Tenet war ebenso loyal zu US- Präsident George W. Bush wie es schon der Ex-Waffeninspekteur der USA im Irak, David Kay, gewesen war. Aber beide haben binnen Tagen die Glaubwürdigkeit der US-Regierung weiter erschüttert. Hinter allen Verweisen auf widersprüchliche Informationen und Analysen über den Irak des Diktators Saddam Hussein wird immer deutlicher: Als amerikanische und britische Truppen vor fast einem Jahr im Irak einmarschierten, gab es kaum gesicherte Erkenntnisse über dort vermutete Massenvernichtungswaffen.

Von einer "unmittelbaren Bedrohung" durch irakische Waffensysteme habe sein Geheimdienst CIA nie gesprochen, betonte Tenet dann auch in seiner großen Rechtfertigungsrede vom Donnerstag. Sie wird kaum die letzte gewesen sein. Bush will eine Kommission zur Klärung der Informationspannen vor dem Irak-Krieg einsetzen. Denn die Suche nach einem Schuldigen, zur Not wohl auch einem Sündenbock, hat begonnen.

Suche nach dem "Schwarzen Peter"

Die Frage, die das politische Washington im Wahljahr aufwühlt ist, wer den "Schwarzen Peter" für die von Anfang an umstrittenen Geheimdiensterkenntnisse bekommt. Mit ihnen hatten Bush und der britische Premier Tony Blair den Irak-Krieg - auch vor skeptischen Verbündeten in Berlin und Paris - maßgeblich gerechtfertigt. Waffenexperte Kay hatte versucht, Bush zu schützen und die Geheimdienste anzuprangern.

Tenet hob den Fehdehandschuh auf. Zunächst nahm er seinen Chef Bush in Schutz: "Niemand sagte uns, was wir sagen sollten oder wie wir es sagen sollten". Dann, gegen Kay gerichtet: Die Arbeit im Irak sei keineswegs beendet, wie Kay gemeint habe. Schon Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte am Vortag geäußert, es könnten sehr wohl noch chemische oder biologische Waffen im Irak gefunden werden.

Zweifel an den Absichten Saddam Husseins, chemische, biologische oder nukleare Waffen zu bekommen und einzusetzen hat in Washington ohnehin niemand. "Saddam wollte Massenvernichtungswaffen ... und deshalb haben wir auch nach heutigen Kenntnissen im Irak das Richtige getan", sagte Bush am Donnerstag trotzig. Sein demokratischer Herausforderer im Kampf um das Weiße Haus wird im Wahlkampf die Widersprüche bei der Kriegsbegründung sicher nutzen - denn zumindest vor einem Jahr hatte Bush noch anders argumentiert.

Geheimdienste am Pranger

Obwohl Tenet bis ins einzelne aufführte, an welchen Waffensystemen Bagdad gearbeitet habe, konnte auch er nicht den Eindruck verwischen, dass Bush, Außenminister Colin Powell und Vizepräsident Dick Cheney vor dem Krieg zumindest die unmittelbare Gefahr durch irakische Massenvernichtungswaffen enorm hochgespielt hatten - immer mit den vagen Verweisen auf angeblich eindeutige Erkenntnisse der Dienste. Davon ist nicht viel geblieben, Powell gibt das zuweilen indirekt zu. Noch stehen weniger die Politiker, als vielmehr die Geheimdienste am Pranger.

Deren Geschichte ist so lang wie die ihrer Pannen. Auch nach den verheerenden Terroranschlägen des 11. September 2001 gab es bittere Vorwürfe. Denn trotz enormer Investitionen in hochmoderne Überwachungssysteme hatte die CIA keine Vorwarnung gegeben. Sie war auch 1999 während des Kosovo-Konflikts indirekt verantwortlich für die irrtümliche Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad.

Tenets Klagen

"Unsere Niederlagen werden bekannt, unsere Siege kennt meistens keiner", wurde Tenet im öffentlichen US-Radio klagend zitiert. "Im Geheimdienstgeschäft liegt man praktisch nie ganz falsch oder ganz richtig", umschrieb er am Donnerstag die Zuverlässigkeit von Geheimdienstdossiers.

DPA
Laszlo Trankovits