Pierre Goldschmidt war bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) mit Sitz in Wien für die Überwachung von Nuklearmaterial zuständig und musste sicherstellen, dass dieses nicht zur Atomwaffenproduktion missbraucht wird. Ferner überprüfte er, dass es kein undeklariertes nukleares Material oder entsprechende Aktivitäten in den Staaten gab, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hatten.
Katja Gloger: Herr Goldschmidt, rückt die Welt gerade wieder näher an den nuklearen Abgrund?
Pierre Goldschmidt: Wir Menschen sind heute ja leider genauso aggressiv wie früher. Heute beherrschen wir allerdings Technologien, die die gesamte Menschheit vernichten können. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, ob es uns gelingt, die illegale Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen. Wir müssen der Proliferation Einhalt gebieten. Das ist eine der großen Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Der müssen wir uns stellen. Ebenso wie der vielleicht größten Herausforderung unserer Zeit: der Kampf gegen Intoleranz.
Der Iran verfolgte 18 Jahre lang heimlich ein Nuklearprogramm. Hat die Welt geschlafen?
Ich glaube, es ist viel schlimmer. Viele Länder, viele Politiker kennen die Gefahren der Proliferation ganz genau. Doch sie wollen nicht dagegen angehen.
Proliferation im Rüstungsbereich
Proliferation ist hier die Bezeichnung für die Weiterverbreitung bzw. die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen und ihren Trägersystemen. Die Waffen können komplett sein oder nur die Bauelemente für A-, B- oder C-Waffen. Trägersysteme sind alle solchen, die die Massenvernichtungswaffen an ihren Wirkungsort verbringen oder sie an einem beliebigen Ort zur Wirkung gelangen lassen (Raketen, Granatenhülsen, Zerstäuber). Quelle: Wikipedia
Warum?
Sie glauben wohl, sie könnten Nutzen aus den Lücken des Nichtverbreitungsvertrages NPT schlagen. Und sie wollen einer internationalen Organisation wie etwa der IAEA keinesfalls mehr Rechte einräumen.
Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA soll im Auftrag der Vereinten Nationen sicherstellen, dass Nuklearenergie nur zu friedlichen Zwecken genutzt wird.
Ja. Auch aufgrund ihrer Arbeit weiß die Welt seit drei Jahren von dem geheimen Nuklearprogramm der Iran.
IAEA-Inspektoren sollen es überprüfen. Der Iran hat den NPT ja unterzeichnet.
Doch wir kennen die Antworten auf eine Reihe von sehr beunruhigenden Fragen immer noch nicht.
Zum Beispiel?
Mitte der 80er Jahre führten der Iran und der Irak Krieg gegeneinander. Es gab kein einziges Atomkraftwerk im Iran. Alles war zerstört. Warum begann der Iran ausgerechnet damals ein angeblich ziviles Anreicherungsprogramm für Uran? Allein das ergibt schon keinen Sinn. Die IAEA hat noch keinen "rauchenden Colt" gefunden, noch keinen Beweis für ein militärisches Atomprogramm. Die Mitgliedsstaaten haben Zweifel und Fragen. Doch mit ihrem jetzigen Mandat kann die IAEA diese Fragen nicht beantworten. Ich fürchte, die IAEA-Inspektoren können die Existenz eines Militärprogramms erst dann beweisen, wenn es zu spät ist.
Braucht die Behörde des Friedensnobelpreisträgers Mohamed El Baradei mehr Rechte, mehr Kompetenzen? Wer soll die erteilen?
Unbedingt. Dazu gehören erweitere Überprüfungs-Rechte. Wenn Länder die Abkommen zur Überwachung ihrer nuklearen Aktivitäten nicht einhalten, dann müsste die IAEA das Recht haben, sofort an allen Orten unbegrenzt Zugang zu erhalten. Und mit jedem zu sprechen. Darüber müsste der UN-Sicherheitsrat entscheiden. Solche Rechte hat die IAEA bis heute nicht. Außerdem müssten die Mitgliedsstaaten viel intensiver mit der IAEA kooperieren. Müssten etwa verdächtige Lieferungen von Anlagen oder Ausrüstungen melden. So haben eine Reihe von Mitgliedsstaaten der IAEA Ausrüstungen und Nuklearmaterial an den Iran geliefert. Daneben muss die IAEA Zugang zu modernen Überwachungs-Technologien erhalten, zum Beispiel, um Nuklearmaterial oder entsprechende Aktivitäten auch aus größerer Entfernung aufzuspüren.
Kommt der Fall Iran jetzt vor den UN-Sicherheitsrat?
Ja. Es ist nicht mehr die Frage, ob das passieren wird. Es stellt sich nur noch die Frage, wann.
Und dann? Sanktionen?
Nein. Sanktionen stehen zur Zeit nicht auf der Tagesordnung. Sanktionen lösen das Problem nicht. Der Sicherheitsrat sollte den Iran zunächst verbindlich auffordern, auf die Urananreicherung zu verzichten. Vor allem aber sollten die Nuklearinspektoren ein erweitertes Mandat mit entsprechender Autorität erhalten. Auch ein zehnjähriges Moratorium für Urananreicherungsanlagen wäre eine gute Idee. Und zwar in den Ländern, die sich nicht an die Abkommen zur Überwachung halten, die sie unterschrieben haben...
...wie der Iran oder Nordkorea.
Dann wäre schon viel erreicht. Und vielleicht ist es sogar der einzige Weg, den wir gehen können.