Vier Tote wegen eines kleinen Baums im Grenzgebiet? Nach dem blutigen Gefecht an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon stellt sich die Frage, warum eine solchen Lappalie zu einer derart gefährlichen Konfrontation zwischen den Armeen der verfeindeten Nachbarn führen konnte. Die erste Auseinandersetzung dieser Art seit dem Libanon-Krieg vor vier Jahren schürte in der Region die Furcht vor einem neuen Waffengang. "Nur um Haaresbreite" sei eine Ausweitung des Scharmützels in einen regionalen Großbrand vorerst verhindert worden, schrieb ein israelischer Zeitungskommentator am Mittwoch.
Die Situation zwischen Israel und dem Libanon ähnelt der zweier aufs Blut verfeindeter Nachbarn, deren Gärten nur durch einen Zaun getrennt sind und die sich ständig misstrauisch belauern. Viele Ortschaften auf beiden Seiten der Grenze liegen buchstäblich nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Obwohl die Situation in den vergangenen vier Jahren weitgehend ruhig blieb, liegt die Spannung immer in der Luft. Da kann auch ein kleiner Funke leicht überspringen und einen Großbrand auslösen. Die brütende Augusthitze, die viele Menschen in der Region leichter reizbar macht, mag ihren Teil dazu beigetragen haben. Seit Monaten wird zudem ein neuer Krieg in der Region herbeigeredet - daher besteht auch die Gefahr einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung.
Die Kämpfe am Dienstag entzündeten sich daran, dass israelische Truppen im Grenzstreifen mit einem Kran einen Baum fällten und Gestrüpp entfernten. Die internationale Beobachtertruppe Unifil bestätigte am Mittwoch die israelische Version, derzufolge die Soldaten dabei nicht auf libanesisches Gebiet vordrangen.
Israel will in dem gefährlichen Gebiet stets für gute Sicht sorgen, damit libanesische Milizen sich nicht im Schutz von Bäumen und Sträuchern unbemerkt der Grenze nähern können. Die Armee ist dort ständig auf der Hut, weil sie befürchtet, Kämpfer der pro-iranischen Hisbollah könnten erneut versuchen, israelische Soldaten aus dem Grenzgebiet zu entführen. Eine solche Entführung hatte im Sommer 2006 den einmonatigen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah ausgelöst.
Der Libanon sieht sich hingegen als Opfer häufiger israelischer Grenzverletzungen. Die Tatsache, dass an dem Gefecht libanesische Soldaten und keine Hisbollah-Kämpfer beteiligt waren, wird in Israel mit großer Sorge registriert. Israelische Militärs berichten von einem zunehmenden "Säbelrasseln" libanesischer Soldaten an der Grenze.
"Der schiitische Radikalismus dringt immer tiefer in die libanesische Armee ein", sagte der israelische Experte für strategische Studien, Efraim Inbar, am Mittwoch. "Es ist die Fortsetzung der allgemeinen Machtübernahme der Hisbollah im Libanon." Bislang hatte die libanesische Armee sich bei Kämpfen mit Israel weitgehend herausgehalten.
"Es ist fast ironisch, dass ausgerechnet die libanesischen Streitkräfte, die (nach dem Libanon-Krieg von 2006) im Süden stationiert wurden, um die Präsenz von Hisbollah-Kämpfern zu verhindern, für den Vorfall verantwortlich sind", schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung "Haaretz". Angesichts der neuen Spannungen mit dem Libanon forderte Jerusalem am Mittwoch Paris und Washington auf, Waffenlieferungen an das libanesische Militär künftig zu unterlassen.
Nach internationalen Aufrufen zur Mäßigung konnte Unifil am Mittwoch neue Spannungen im Grenzgebiet zunächst entschärfen, obwohl die israelische Armee weiter Gestrüpp entfernte. Doch die Lage bleibt explosiv. "Wir leben im Nahen Osten, wir wissen nicht, was morgen passieren kann", sagt der israelische Strategie-Experte Inbar mit einem bitteren Lachen.