Jagd auf Rohstoffe Wem gehört die Arktis?

Die Arktis schmilzt und es tauchen gigantische Rohstoffreserven auf: Öl, Gas, vielleicht sogar Diamanten liegen unter dem Packeis. Nur: Wem gehört das alles? Jetzt beraten die Anrainerstaaten darüber, wem welches Stück des Polarmeers zusteht - und wie es sich vergrößern lässt.

Die Grönländer versuchen sich einigen Jahren in einer für sie ungewohnten Disziplin: der Landwirtschaft. Mit einigem Erfolg sogar, mittlerweile gedeiht dort Gemüse, Broccoli etwa, für den die Grönländer bislang noch nicht einmal einen Namen hatten. Die Bewohner der Eiswüste erleben den Klimawandel live, in Echtzeit. Und das Land ist über das Tauwetter nicht nur unglücklich. Denn die Erderwärmung legt einen der größten Schätze Grönlands frei - immense Massen von Rohstoffen, die vor der Küste vermutet werden und deren Ausbeutung die Grönländer selbst in die Hand nehmen dürfen. Verlockende Aussichten, die Begehrlichkeiten wecken - nicht nur bei den Grönländern, sondern bei allen Arktis-Anrainerstaaten.

Zugegeben, noch ist es nicht soweit, dass die Öl- und Gasvorkommen, sowie die Bodenschätze en passant abzuernten wären. Doch die unwirtliche Gegend rund um den Nordpol wird durch die Eisschmelze von Jahr zu Jahr zugänglicher. Einige Forscher glauben sogar, dass um 2040 herum die Arktis komplett vom Eis befreit sein könnte. Allerspätestens dann wird am Polarmeer der große Goldrausch ausbrechen. Doch bis dahin gibt es noch eine Reihe wichtiger Fragen zu klären. Zumal nicht wenige Grenzverläufe in der Region, immerhin so groß wie Nordamerika, noch völlig ungeklärt sind.

Wettlauf um die tiefgekühlten Schätze

Nun treffen sich zwei Tage lang die fünf Anrainerstaaten im grönländischen Ilulissat, um zumindest schon einmal einen Anfang zu machen, auszutarieren, wie die absehbaren Konflikte der Zukunft gelöst werden könnten - bevor der Wettlauf um die tiefgekühlten Schätze richtig beginnt. Russland, Dänemark (über Grönland ein Polarstaat), Norwegen, Kanada und USA haben als einzige ein Anrecht darauf, die Rohstoffe auszubeuten. Die Frage ist nur: wem gehört was, und wer darf bis wohin seine Bohrer losschicken? Erst im vergangenen Sommer hat Russland in einer spektakulären Aktion seine Ansprüche in der Region deutlich gemacht: Zwei U-Boote hatten damals die russische Flagge in den Tiefseeboden gerammt. 1,2 Millionen Quadratkilometer arktischen Grund beansprucht das Reich seitdem für sich, nach eigenen Schätzungen getränkt mit Bodenschätzen im Wert von einer Billion Dollar. Kanada und Dänemark hatten prompt gegen die Einverleibung protestiert.

Allerdings beruhen alle Angaben über die genauen Mengen an Öl, Gas und anderen Rohstoffen unter dem Eismeer auf Schätzungen. Experten sind sich soweit sicher, dass es viel zu holen geben werde, sehr viel sogar. US-Geologen vermuten dort ein Viertel der weltweiten Öllagerstätten, pessimistischere Wissenschaftler rechnen mit einem Viertel der bislang unentdeckten Ölreserven.

Aktuell stammt rund 15 Prozent der weltweiten Erdölproduktion aus der Arktis, größtenteils gefördert auf russischem Staatsgebiet. Bislang war es wegen des dicken Eispanzers aber kaum möglich, die Region genauer zu erforschen, vor allem die Schelfgebiete, die etwa ein Drittel der gesamten arktischen Fläche ausmachen - und wo große Vorkommen von Gashydrat, also gefrorenes Erdgas vermutet werden.

Diese Gebiete, die so genannten Festlandsockel, sind deshalb begehrt, und jedes Land möchte sich entsprechend viel davon einverleiben. Die Seerechtskonvention von 1982 sieht vor, dass die exklusive Wirtschaftszone für jedes Küstenland bis 200 Seemeilen vor seine Küste reicht. In Ausnahmefällen aber können die Festlandsockel, die Strecke, die sich von der Küste bis zum Meeresboden erstreckt, bis auf 350 Seemeilen ausgedehnt werden. Auf diese Regelung berief sich Russland nach seiner Tiefsee-Flaggenhissung, würde damit aber grönländische und kanadische "Hoheitsschelfe" beschneiden.

Welches Schelf gehört zu welchem Land?

Es ist nicht das erste Mal, dass Staaten versuchen, auf diese Weise ihre Zugriffsrechte im Meer auszudehnen. Deswegen haben die Vereinten Nationen dafür ein Gremium gegründet. "In New York sitzen 21 Experten, allesamt Naturwissenschaftler, die über diese Fragen zu befinden haben", sagt Matthias Füracker, Jurist am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg. Die Runde trägt im Deutschen den sperrigen Namen Festlandsockelgrenzkommission. Sie trifft nach einem langwierigen und komplizierten Verfahren die Entscheidung darüber, welches Schelf zu welchen Land gehört.

"Grob gesagt beantragt ein Staat die Verlängerung seines Festlandsockels, leitet seine eigenen erhobenen geologischen Daten weiter an die Kommission", so Seerechtsexperte Füracker. Ein Kriterium dafür sei unter anderem die Beschaffenheit von Landmasse, Küste und Schelf, zum Beispiel die Dicke des Sediments.

Antrag, Einsprüche, Proteste

Bis die UN-Behörde zu einem Urteil kommt, kann es dauern. Nicht nur, dass die Erhebung geologischer Daten aufwändig und teuer ist. Gegen jeden Antrag bei der Sockelkommission darf Einspruch erhoben werden. Als Russland 2001 erstmals eine erweiterte Schelf-Nutzung beantragte, protestierten insgesamt fünf Länder dagegen, darunter Dänemark und Norwegen. Als wiederum Norwegen 2006 seine Festlandsockel vergrößern wollte - widersprachen unter anderem Russland und Dänemark.

Und selbst wenn in New York eine Entscheidung gefallen ist, heißt das noch lange nicht, dass sämtliche Fragen geklärt wären. Denn für den Fall, dass sich Schelfe benachbarter Staaten, wie zum Beispiel Grönland und Kanada, überschneiden, müssen sich die Länder mühselig auf Grenzverläufe einigen. In der Arktis gibt es noch viele Flecken, von denen keiner weiß, wo genau sie hingehören.

Zu den neuen Uneindeutigkeiten, die durch die Eisschmelze auftauchen, gehört auch das Zugriffsrecht auf die legendäre Nordwestpassage. Im September 2007 zeigten Satellitenbilder erstmals einen eisfreien Wasserweg. Würde das so bleiben und die Route dauerhaft befahrbar sein, würde sich die Strecke zwischen Europa nach Asien über Nordamerika entlang von rund 23.000 Kilometer auf knapp 16.000 Kilometer um fast ein Drittel reduzieren. Kanada pocht schon seit Jahren darauf, große Teile der Nordwestpassage zu besitzen und einen Hafen zu bauen. Der Nachbar USA glaubt aber, dass es sich um internationale Gewässer handelt. Eine Lösung in dem Zwist ist bislang nicht in Sicht.

Wer ist eigentlich für Rettungseinsätze zuständig?

Die jetzige Konferenz in Ilulissat wird sich allerdings nicht mit den großen Fragen beschäftigen, sondern mit praktischen Dingen: Zunächst soll ein Verfahren erarbeitet werden, mit dem irgendwann die Territorialansprüche der Anrainerstaaten geklärt werden können. Und dann muss geklärt werden, wer eigentlich für Rettungseinsätze bei arktischen Schiffsunglücken zuständig ist, und wie der Schutz der polaren Umwelt gewährleistet werden könne. Fast schon profane Vorhaben bei der Entdeckung einer neuen Welt.