Janis Karpinski "Befehle von Rumsfeld"

Sie war die Chefin des Gefängnisses Abu Ghreib. Im stern-Interview sagt die Ex-Generalin Janis Karpinski, ihre Vorgesetzten hätten die Folter von Irakern angeordnet. Sie bestreitet jedes Mitwissen.

Frau Karpinski, worin bestand Ihre Aufgabe im Irak?

Im Juni 2003 übernahm ich das Kommando über die 800. Militärpolizei-Brigade. Wir sollten landesweit 17 Gefängnisse betreiben, in denen irakische Straftäter saßen. Diese Gefängnisse sollten renoviert und innerhalb von 90 Tagen der irakischen Regierung übergeben werden. Denn nach spätestens 90 Tagen wollten wir ja alle Nachkriegsoperationen abgeschlossen haben und den Irak verlassen. Mir standen im Durchschnitt 1000 Dollar pro Monat zur Verfügung, für alle Gefängnisse mit ihren damals rund 1500 Insassen. Oft gab es weder Kleidung noch Waschbecken. Es war aberwitzig.

Wie war die Situation in Abu Ghreib?

Dort saßen damals rund 120 Häftlinge. Das Gefängnis war total geplündert worden. Aber eine sechs Meter hohe Betonwand zog sich noch um das Gelände. Das gab ein Gefühl von Sicherheit. Also sollte das Gefängnis weiter in Betrieb bleiben, trotz massiver Bedenken. Man wusste ja, wie viele Menschen dort unter Saddam gefoltert und ermordet worden waren.

Warum behaupteten Sie damals, dass es Irakern im Gefängnis besser ging als zu Hause?

Es herrschte, so merkwürdig es klingt, zunächst eine gute Atmosphäre. Die meisten Insassen waren ja keine Gewalttäter. Sie saßen in Haft, weil sie die Ausgangssperre missachtet oder Benzin gestohlen hatten. Sie erwarteten, dass sie bald nach Hause gehen könnten. Wir waren alle bemüht, aus der Situation das Beste zu machen. Doch Ende August 2003 kam General Miller.

General Geoffrey Miller war Kommandant von Guantánamo. Dort wandten US-Militärs harte Verhörmethoden an, die Experten als Folter bezeichnen. Warum kam er?

Einen Monat zuvor hatte man die beiden Söhne Saddam Husseins getötet. Bei der Operation hatte man viele Hinweise bekommen auf andere Aufständische. Bei großen Razzien suchte die US-Armee nach "hochwertigen Zielen", nach Irakern, die verwertbare Informationen liefern könnten. Innerhalb weniger Wochen saßen 8000 Gefangene in Abu Ghreib. Die meisten waren unschuldig, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, oder einer hatte sie denunziert.

Warum wurden die nicht freigelassen?

Es herrschte eine regelrechte "Entlassungsphobie". Eine Generalin sagte mir, sie werde doch nicht den nächsten Osama bin Laden freilassen. Ein anderer General sagte: "Es ist mir völlig egal, ob wir 15000 Unschuldige festhalten oder nicht. Wir gewinnen diesen Krieg."

Was passierte bei General Millers Besuch?

Die Situation änderte sich dramatisch. Miller sagte, er sei von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dessen Unterstaatssekretär Stephen Cambone geschickt worden. Er hatte sein "Tiger Team" dabei, rund 20 Experten für Verhörtaktik. Einmal durfte ich an einer Sitzung teilnehmen. Miller sagte, Minister Rumsfeld sei sehr besorgt über die Lage. Die Ergebnisse der Verhöre seien viel zu schlecht, wir seien viel zu nett zu den Gefangenen. Er redete von Guantánamo, von Fußfesseln, Handschellen. Dann sagte er: "Sie müssen die Gefangenen wie Hunde behandeln. Wenn sich Gefangene nicht wie Hunde fühlen, dann haben Sie die Kontrolle über das Verhör verloren." Das hörten alle im Raum. Alle.

Und wie reagierten Sie?

Ich erwiderte, wir hätten nicht mal Geld für Kleidung. Miller sagte, sein Budget betrage 125 Millionen Dollar pro Jahr, er werde die Mittel finden.

Sie hatten weiterhin das Kommando auch über Abu Ghreib.

Formal ja, faktisch nicht mehr. Die Befehlskette wurde bewusst verwischt. Am letzten Tag seines Besuches sagte mir Miller, er wolle Abu Ghreib zum Verhörzentrum für den ganzen Irak machen. Er werde die gesamte Operation "guantanamisieren". Er werde Militärpolizisten einsetzen, um die Voraussetzungen für effektive Verhöre zu verbessern. Ich sagte, dass Militärpolizisten gar nicht dafür ausgebildet seien. Er meinte nur, dafür werde man sorgen. Er werde Material hinterlassen, um die Polizisten entsprechend zu trainieren. Von da an kamen immer mehr Verhörspezialisten nach Abu Ghreib. Sie waren vorher in Afghanistan oder Guantánamo gewesen. Viele waren Zivilisten. Sie arbeiteten mit dem militärischen Nachrichtendienst unter Generalin Barbara Fast und dem für Abu Ghreib zuständigen Kommandeur Oberst Thomas Pappas. Bereits im September übernahm der militärische Nachrichtendienst faktisch das Kommando, Mitte November wurde es dann auch formal unterstellt.

Warum protestierten Sie nicht bei General Ricardo Sanchez, dem Oberkommandierenden im Irak?

Ich hatte 17 Gefängnisse zu beaufsichtigen, kaum Geld, enorme logistische Probleme. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was passieren würde. Später wurden Anweisungen bekannt, in denen General Sanchez Verhörmethoden genehmigt hatte, auch den Einsatz von Hunden.

Hatte die Militärpolizei Hunde?

Nein.

Woher kamen die Hunde?

Ich weiß es nicht. Sie tauchten im Oktober 2003 auf. Ich selbst habe nie einen Hund im Gefängnis gesehen.

Doch Sie besuchten Abu Ghreib weiterhin regelmäßig, bis zu dreimal pro Woche. Sie waren auch in den Zellenblocks 1A und 1B, in denen die Fotos von Demütigungen und Misshandlungen gemacht wurden. Und Ihnen fiel nichts auf?

Ich war vielleicht ignorant. Ich sah die Jugendlichen, die hier festgehalten wurden, einer war erst elf Jahre alt. Vielleicht hätten mich die Sichtblenden misstrauisch machen sollen. Sie wurden im September angebracht, so hatte man keinen Einblick mehr in die Zellen. Die Begründung lautete, das irakische Gefängnispersonal solle nicht erfahren, wer dort inhaftiert war. Es schien plausibel. Ich wusste damals nur von einem Fall im Gefängnis Camp Bucca. Dort hatten Militärpolizisten einen Gefangenen misshandelt. Sie wurden von einem anderen Soldaten gestoppt. Sie wurden bestraft.

Wussten Sie von "Geistergefangenen"?

Ja. Wir wurden durch General Sanchez angewiesen, Gefangene festzuhalten, ohne sie zu registrieren. Man sagte mir, die Befehle seien von Verteidigungsminister Rumsfeld erteilt worden. So wurde verhindert, dass das Internationale Rote Kreuz von der Existenz solcher Gefangener erfuhr. Ich sprach einen solchen Fall mehrmals bei Oberst Mark Warren an.

Er war damals höchster Militärjurist im Irak.

Er wusste offenbar davon. Er meinte, die Genfer Konventionen würden in diesem Fall möglicherweise nicht angewandt. Ich sagte, ich müsse den Gefangenen registrieren. Der Oberst meinte, er müsse mit Washington sprechen. Am folgenden Morgen wurde der Gefangene abgeholt. Ich habe nie wieder von ihm gehört.

Warum besuchte das Internationale Rote Kreuz im Herbst 2003 Abu Ghreib?

In der ersten Dezemberwoche 2003 kamen die Juristen aus dem Hauptquartier. Man müsse über das Rote Kreuz und Abu Ghreib reden, hieß es. Man gab mir ihren Bericht zu lesen. Dort war von nackten Gefangenen die Rede. Man forderte, ich sollte die Antwort unterschreiben. Ich weigerte mich. Ich war nicht zuständig.

Was sagte man Ihnen?

Oberst Warren meinte, es handele sich um eine sensible Angelegenheit. Ich solle unterschreiben, weil man keine Aufmerksamkeit auf die Befehlsgewalt des militärischen Nachrichtendienstes über Abu Ghreib lenken wolle. Und von den Gefangenenfotos erfuhr ich erst am 12. Januar 2004, als ich hörte, dass eine Untersuchung gegen mich lief. Ich bin sicher, diese Fotos wurden auf Anweisung der Verhörspezialisten gemacht. Regelrecht inszeniert. Mit solchen Fotos kann man andere Gefangene rasch einschüchtern und zum Reden bringen. Das haben die beteiligten Soldaten auch vor Gericht ausgesagt. Und so einer wie Charles Graner ...

... der zu den sadistischen Anführern in Zellenblock 1A gehörte ...

... wurde absichtlich in der Nachtschicht eingesetzt. Man wusste ja, welche Probleme er als Gefängniswärter zu Hause gehabt hatte. Nun sollte er die Gefangenen auf Verhöre "vorbereiten". Er wurde für seine schmutzige Arbeit gelobt, sogar schriftlich. Und glauben Sie etwa, Lynndie England hätte Hundeleine und Halsband in ihrem Gepäck gehabt? Man gab ihr diese Sachen. Auf einigen Fotos sind die Stiefel von 16 Amerikanern zu sehen. Doch nur sieben wurden verurteilt. Wer sind die anderen? Später war ich noch einmal in Abu Ghreib. Dort hing an einer Säule außerhalb des Verwaltungsbüros die Kopie einer Anweisung, in der genehmigte Verhörmethoden beschrieben wurden, unter anderem Stresspositionen, Lärm, Schlafentzug. Sie trug Rumsfelds Unterschrift, und daneben stand in der gleichen Schrift: "Stellen Sie sicher, dass dies umgesetzt wird."

Doch in allen Untersuchungsberichten wird Ihre besondere Verantwortung herausgehoben. Sie seien Ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen. Sie wurden degradiert.

Ich habe Fehler gemacht. Aber die wahren Verantwortlichen für Abu Ghreib wurden bis heute nicht zur Verantwortung gezogen. General Miller übernahm zunächst die Gefängnisse im Irak, dann wurde er ehrenvoll pensioniert. Auch General Sanchez wurde pensioniert. Der direkt verantwortliche Kommandeur des militärischen Nachrichtendienstes, Thomas Pappas, wurde zu einer Geldstrafe von 8000 Dollar verurteilt. Die musste er nicht mal zahlen, er ist weiter im Dienst. Es ist richtig, dass Menschen wie Lynndie England oder Charles Graner im Gefängnis sitzen. Aber sie sollten nicht die Ein-zigen sein. Es waren mehr als ein paar "faule Äpfel" einer Nachtschicht. Es war ein System.

print
Interview: Katja Gloger