Human Rights Watch Berichte über Leichenberge: Saudische Beamte sollen hunderte Flüchtlinge an Jemen-Grenze getötet haben

Flüchtlinge im Jemen, nahe der Grenze zu Saudi-Arabien
Menschen aus dem Jemen fliehen vor dem seit Jahren andauernden Konflikt in ihrem Land. Trotzdem überqueren regelmäßig Menschen den Golf von Aden, um über den Jemen nach Saudi-Arabien zu gelangen. 
© ESSA AHMED / AFP
Grenzschützer Saudi-Arabiens sollen an der Grenze zum Jemen immer wieder Migranten getötet haben, darunter auch Kinder. Das geht aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" hervor. 

Saudische Grenzschutzbeamte haben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge Hunderte äthiopische Migranten und Asylsuchende getötet, die versucht haben, die saudisch-jemenitische Grenze zu überqueren. Menschen sollen aus nächster Nähe erschossen worden sein, darunter auch Kinder, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Bericht. Demnach wurden außerdem Sprengwaffen gegen Migranten eingesetzt. In dem Bericht wurde der Zeitraum zwischen März 2022 und Juni 2023 untersucht. Aktuelle Untersuchungen von HRW deuteten aber daraufhin, dass die Tötungen weiterhin stattfinden.

Augenzeugen berichteten den Menschenrechtlern von Leichenbergen entlang der Migrationsroute. "Wenn die saudischen Sicherheitsbeamten eine Gruppe (Migranten) sieht, schießen sie ununterbrochen", sagte eine der Überlebenden den Helfern. Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation zufolge hätten die saudischen Beamten Hunderte – "möglicherweise Tausende" – Migranten in dem Grenzgebiet getötet. Asylsuchende und Migranten sagten, die Migrationsroute zwischen dem Jemen und Saudi-Arabien sei "voll von Missbrauch" und unter der Kontrolle von Menschenhändlern.

Eine 20-Jährige aus der äthiopischen Region Oromia sagte HRW, die Grenzbeamten hätten auf eine Gruppe von Migranten geschossen, die sie gerade aus dem Gewahrsam entlassen hatten. "Sie haben das Feuer wie Regen auf uns niedergehen lassen", sagte sie demnach. "Ich sah einen Typen, der nach Hilfe rief, er hatte beide Beine verloren. Er schrie, er sagte: 'Lasst Ihr mich hier? Bitte lasst mich nicht hier'. Aber wir konnten ihm nicht helfen, weil wir um unser Leben rannten." 

Regierungsmitarbeiter streitet Vorwürfe ab

Eine Quelle aus der saudiarabischen Regierung sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass den Anschuldigungen nicht zu trauen sei. Die Vorwürfe im HRW-Bericht seien "unbegründet und beruhen nicht auf verlässlichen Quellen". HRW erklärte, auf Anfragen an offizielle Stellen in Riad keine Antwort erhalten zu haben.

Die den Nordjemen kontrollierenden Huthi-Rebellen hingegen beschuldigten die Grenzschützer in einer Antwort an HRW, "vorsätzliche Tötungen von Migranten und Jemeniten" vorzunehmen. Nach Angaben der Menschenrechtsgruppe hatten Migranten berichtet, dass Kräfte der Huthis mit Schleusern zusammenarbeiten würden und Migranten "erpressen" würden oder sie in Auffanglagern festhielten, bis diese eine Gebühr zahlten. Die Huthis wiesen den Vorwurf der Zusammenarbeit mit Schleusern zurück.

Die Huthi-Rebellen im Jemen werden vom Iran unterstützt. Saudi-Arabien dagegen mobilisierte im Jahr 2015 eine Militärkoalition, welche die Regierung im Jemen stützt. In dem jahrelangen Konflikt wurden hunderttausende Menschen getötet, die humanitäre Lage ist katastrophal.

Tötungen an der saudischen Grenze waren UN bereits bekannt

HRW dokumentiert seit fast einem Jahrzehnt Misshandlungen von äthiopischen Migranten in Saudi-Arabien und Jemen. Doch die jüngsten Tötungen schienen "weit verbreitet und systematisch" und könnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, erklärte die Organisation.

Bereits im vergangenen Jahr hatten UN-Experten über "besorgniserregende Vorwürfe" berichtet, denen zufolge saudiarabische Sicherheitskräfte an der Grenze zum Jemen in den ersten Monaten des Jahres 2022 etwa 430 Migranten getötet hätten. 

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger forderte mit Blick auf den Bericht einen Kurswechsel der Bundesregierung gegenüber Saudi-Arabien. "Wer von sich selbst behauptet, feministische Außenpolitik sei wichtig, macht sich unglaubwürdig, wenn man Staaten wie Saudi-Arabien mit Waffen unterstützt, die Menschen barbarisch an ihrer Grenze abschießen", sagte Bünger dem Fachinformationsdienst "Table Media".

Insbesondere die Entscheidung, erneut saudiarabische Grenzpolizisten durch die Bundespolizei ausbilden zu lassen, sei "ein großer Fehler" gewesen. Es müsse nun geklärt werden, "ob etwaig von Deutschland ausgebildete Kräfte an den Massenerschießungen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt" gewesen seien. 

Flüchtlinge durchqueren regelmäßig das Kriegsgebiet Jemen

Besorgt über den HRW-Bericht äußert sich auch das Auswärtige Amt in Berlin. "Wir sind sehr besorgt über die dort aufgeführten massiven Vorwürfe", sagte eine Sprecherin des deutschen Außenministeriums am Montag in Berlin. Man verfüge aber über keine eigenen Erkenntnisse zu den in dem Bericht geäußerten Vorwürfen. Das Auswärtige Amt bemühe sich im Gespräch mit den internationalen Partnern, solche Sorgen vorzubringen, sagte die Sprecherin. Über Details wollte sie keine Auskunft geben, ergänzte aber: "Das Auswärtige Amt spricht sehr regelmäßig mit Saudi-Arabien, auch über Menschenrechtsfragen."

Trotz des Bürgerkriegs kommen noch immer Migranten in den Jemen mit dem Ziel, ins benachbarte Saudi-Arabien zu gelangen. Schätzungen zufolge kommen weit mehr als 90 Prozent der Migranten auf der "gefährlichen Ostroute" – vom Horn von Afrika über den Golf von Aden durch den Jemen nach Saudi-Arabien – aus Äthiopien. Die Route wird HRW zufolge auch von Migranten aus Somalia, Eritrea und gelegentlich aus anderen ostafrikanischen Ländern genutzt. In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Frauen und Mädchen, die auf der Ostroute migrieren, gestiegen.

Im Jemen herrscht seit Ende 2014 ein verheerender Konflikt zwischen der Regierung, den Huthi-Rebellen und deren Verbündeten. Saudi-Arabien kämpft im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthis, die das Land 2014 überrannten und die weite Teile im Norden beherrschen. Die Vereinten Nationen betrachten den Konflikt im Jemen als eine humanitäre Katastrophe, die das Land an den Rand einer Hungersnot gebracht hat.

DPA · AFP
nim