Kriegsalltag in Libyen Sieben Stunden bis zur nächsten Tankfüllung

  • von Markus Götting
Seit die Nato die Rebellen im Kampf gegen Machthaber Muammar al Gaddafi unterstützt, ist im Öl-Land Libyen Benzin zur Mangelware geworden. Viele Libyer verbringen nun ihre Tage in den Warteschlangen an den Tankstellen. Eine Momentaufnahme aus dem Kriegsalltag in Tripolis.

Sie hatte den ganzen Abend gewartet, geduldig, obwohl nichts wirklich voran ging. Ein paar Meter pro Stunde vielleicht, aber dann wurde es stockfinster, und die Tankstelle schloss um halb zehn. Semira Ahmed sperrte ihren schneeweißen Hyunday Tucson ab und ging frustriert nach Hause. Jetzt lässt sie ihren wuchtigen SUV von ein paar kräftigen Männern an die Zapfsäule schieben, nachdem sie abermals stundenlang in der staubigen Hitze von Tripolis gewartet hat. Der Schweißfleck in ihrem roten Kopftuch ein Zeugnis der Qual.

Tankstellen sind seit Ausbruch des Bürgerkrieges eine Art Zentrum des sozialen Lebens im von Muammar al Gaddafi kontrollierten Westen Libyens. Man stellt sich in die zwei, drei Kilometer lange Schlange, oft sind es zwei Auto-Reihen nebeneinander. Die Menschen schlafen in ihren Autos, hängen rum, quatschen, tagelang. Sie bringen kleine Kocher mit, um ihr Abendessen zu brutzeln. Selbst vor geschlossenen Tankstellen eine endlose Kette parkender Autos: Warten auf den Tankwagen. Insha'allah.

In Durji, einer netten kleinen Einkaufsgegend von Tripolis, hat der al-Rahaila-Konzern die erste und einzige Tankstelle nur für Frauen eröffnet. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt, weil man es Frauen nicht zumuten kann, im Auto zu nächtigen. Oder weil sich selbst in diesen Zeiten ja auch irgendwer um den Haushalt kümmern muss? Anders als vor deutschen Restaurant-Toiletten ist hier die Frauenschlange die Fast Lane - man wartet nur sieben Stunden auf eine Tankfüllung. Statt sieben Tage wie an jeder anderen Tankstelle.

Leichter tanken auf der Touristeninsel Djerba

Semira Ahmed ist trotzdem ziemlich wütend. Nicht auf Gaddafi, den Bruder Führer, der das Land immer weiter dem Abgrund entgegen treibt, sondern auf die Nato, ihre Luftangriffe und das Wirtschaftsembargo der internationalen Gemeinschaft. Frau Ahmed sagt: "Ich gehe schon kaum noch aus, überlege vor jeder Fahrt, ob ich sie wirklich machen muss, es ändert unser ganzes Leben." Ob sie vielleicht auf ein Drei-Liter-Auto umsteigen sollte? Semira Ahmed grinst, als wolle sie sagen: Soweit kommt's noch!

Eine Tankfüllung pro Woche erlaubt das Gaddafi-Regime seinen Untertanen. Und hier ist Mabraka Mohamed al-Mansuri, 36, Studentin, und für den Moment freiwillige Helferin an der Frauen-Tankstelle. Sie trägt ein buntes Gewand über ihren schwarzen Jeans, türkis-grünes Kopftuch. Nun schreitet sie von Wagen zu Wagen und macht dabei ein sehr ernstes Gesicht, während sie Fahrzeugscheine kontrolliert, um sicherzustellen, dass das Auto auch wirklich der Fahrerin gehört. Dann gibt es einen Stempel in die Papiere. Sie sagt: "Früher wärst du an einer Tankstelle vorbei gefahren, wenn mehr als drei Autos an der Zapfsäule warten." Früher. Das einzige, was sich nicht geändert hat, ist der Preis pro Liter Benzin; umgerechnet sieben bis acht Cent. Frau al-Mansuri sagt: "In diesem Land ist Benzin billiger als Wasser."

Dennoch ist längst ein brummender Schwarzmarkt entstanden, der inoffizielle Preis für einen Liter Benzin auf bis zu sechs Dollar gestiegen, wie ein Diplomat erzählt. Er selbst fährt zwei-, dreimal die Woche über den Küsten-Highway auf die 300 Kilometer entfernte Touristeninsel Djerba. Dort trifft er seine Kollegen, die sich im Radisson-Hotel vor dem Bürgerkrieg in Sicherheit gebracht haben. Dann tankt er auf: seelisch an der Bar, seinen Wagen an der Tankstelle. Er sagt: "Auf dem Rückweg haben wir immer hunderte Liter Benzin in Kanistern an Bord." Und absolutes Rauchverbot im Auto.

Az-Zawiya - letzte Raffinerie unter Gaddafis Kontrolle

Die Libyer hatten in der Vergangenheit einen verdammten Spritdurst. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur haben sie 270.000 Barrel am Tag verbraucht. Das ist vorbei. Es ist nur eine von vielen Absurditäten, dass eines der größten Öl exportierenden Länder der Welt nun die längsten Benzin-Warteschlangen produziert.

Knapp 25 Prozent ihrer Ölreserven raffinieren die Libyer im Moment zu Benzin, über den Seeweg kommt kein Nachschub ins Land. Und so gesehen, war es für das Gaddafi-Regime mehr als kritisch, als am Wochenende in az-Zawiya, einer kleinen Hafenstadt 50 Kilometer westlich von Tripolis, Freiheitskämpfer versuchten, in den Ort zu marschieren.

In az-Zawiya steht die letzte funktionierende Raffinerie der Gaddafi-Loyalisten, im März wurden die Rebellen, die zwischendurch den Ort kontrollierten, in tagelangen blutigen Schlachten vertrieben - viele Häuser in der Innenstadt haben seitdem keine Fenster mehr, aber gigantische Löcher in den Wänden. Vom Artilleriefeuer. Auch Samstag und Sonntag kamen Dutzende Oppositionelle ums Leben, andere wurden festgenommen, wie Regierungssprecher Mussa Ibrahim am Sonntagabend in einer seiner unnachahmlichen Pressekonferenzen verlauten ließ.

Benzinmangel größte Gefahr für Gaddafi

Internationale Analysten sind sich einig, dass die mangelnde Benzinversorgung mittelfristig den Sturz Gaddafis beschleunigen wird. Sie schränkt die Mobilität seiner Milizen ein und demoralisiert die Bevölkerung. Das Leben auf den Straßen kommt immer mehr zum Stillstand, an den Tankstellen geraten frustrierte Wartende aneinander; und weil hier viel zu viele Menschen viel zu große Gewehre haben, gab es auch schon etliche Tote. Seither müssen Polizisten die Aufsicht an der Zapfsäule führen.

Abgesehen von gelegentlichem Gekeife, geht es an der Frauen-Tankstelle ziemlich ruhig zu. Womöglich hängt das auch mit der Gegenwart von Abrsam Sad al-Dean zusammen. Sie hat die Figur einer russischen Kugelstoßerin und hat sich freiwillig zum Wachdienst gemeldet - von morgens um sieben bis abends um halb zehn. Sie trägt eine Art Armee-Uniform, und von ihrem Hals baumelt ein Bild von Bruder Führer und ihr herab. "Ab und zu muss ich ein paar Männer verjagen", erzählt sie, und wenn man vor ihr steht, kommt wenig Zweifel auf an ihrer Autorität. Ob sie sich Tripolis ohne Benzin vorstellen könne? Frau al-Dean lacht. "Nie im Leben", sagt sie.

So gesehen, ist es sicherlich nur ein Zufall, dass ein paar Meter weiter die Straße runter ein kleines Geschäft ein gutes Dutzend brandneuer Fahrräder im Schaufenster stehen hat.

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