Es ist gerade mal ein Jahr her, da war Labour noch die Partei des Tony Blair. Und der musste sich damals in Manchester eines Angriffs aus den eigenen Reihen erwehren. Parteifreunde wollten ihn dazu zwingen, endlich seinen Abgang festzulegen, und damit den Aufstieg seines einst engsten politischen Freundes Gordon Brown. Der Vorstoß scheiterte, doch entschied sich Blair angesichts der offenen Rebellion in der eigenen Partei, dass 2006 sein letzter Parteitag als Vorsitzender sein sollte.
Damals saß Gordon Brown mit angespannter Miene auf dem Podium im Konferenz-Saal. Und Tony Blair rührte die Partei-Mitglieder zu Tränen, als er sich verabschiedete. Neun Minuten wurde ihm applaudiert, die meisten Delegierten standen dabei.
Schwergängiges Arbeitstier
Am Montag haben dieselben Delegierten für Gordon Brown geklatscht, stehend und zwar zweimal, je fünf Minuten lang. Tony Blair ist nicht mehr anwesend auf diesem Parteitag - und das nicht nur, weil er es vorzog, seiner Rolle als Vermittler im Nahen Osten in New York nachzugehen. Wer es bis jetzt noch nicht verstanden hat, für den wird es nun auf diesem Parteitag überdeutlich: Labour hat sich gehäutet und hat eine neue Ära ausgerufen. Und dafür brauchen sie den einst erfolgreichsten Premierminister aller Zeiten nicht mehr. Tony ist überflüssig, sie haben jetzt Gordon. Und zwar "nicht Flash, nur Gordon", wie der neue Werbe-Spruch heißt, mit dem die Werbeagentur Saatchi&Saatchi den Premier anpreisen wird auf den Plakatwänden des Landes. Saatchi hat vor Jahren einmal lange Arbeitslosenschlangen mit dem Slogan verbunden: "Labour is not working - Labour funktioniert nicht". Jetzt machen sie aus dem, was alle für die große Schwäche des neuen Premierministers gehalten hatten, seine Stärke: Der Mann ist dröge, er ist schwergängig, er ist ein Arbeitstier. Seine Rede auf dem Parteitag war 65 Minuten lang und hatte genau einen einzigen Witz am Anfang, der noch nicht einmal wirklich leicht und lustig war, sondern eigentlich wieder nur zeigte, wie ernst es Gordon Brown ist: "Leute fragen mich, ob ich diesen Job weiterempfehlen kann. Dazu sage ich: Noch nicht!" Die Delegierten lachten darüber ziemlich laut und erstaunlich lange. Wohl auch, wie ein Reporter der "Times" anmerkte, weil es danach nichts mehr zu lachen gab.
Tony Blair war bekannt für seine rhetorische Scharfzüngigkeit, für aufwühlende und oft sehr amüsante Reden. Und dafür, dass vieles, was er da sagte, mehr zu tun hatte mit rhetorischen Spielereien als mit der Politik, die er anschließend durchsetzen wollte. Das war, was die Wähler in Zeiten allgegenwärtiger Öffentlichkeit wollten, sagten die PR-Experten. Gordon Brown hat keine guten Sprüche. Gordon Brown wiederholt sich, er wühlt sich durch seine Rede, er hakt jedes Thema ab - Bildung, Schulen, Krankenhäuser, Einwanderer, Kriminalität. Und er schweigt über das, was er nicht ansprechen will - EU-Vertrag und Neuwahlen. Er kämpft um seine Zuhörer. Es ist kein Spaß für ihn auf dem Podium, es ist Arbeit. Gordon Brown wirkt dadurch echt. Er hat sich als neuer Premierminister erschaffen, der jahrelang auf diesen Job hingearbeitet hat und jetzt ohne Unterlass arbeiten wird, um ihn zu behalten. Das passt zur Stimmung im Land der scheiternden Banken und wiederkehrenden Maul- und Klauenseuche. Gordon Brown hat eine Zustimmungsrate von 42 Prozent in den neuesten Umfragen, der Kandidat der Konservativen, David Cameron, kommt gerade mal auf 20 Prozent. Die Labour-Partei ist ihrem Gordon dankbar, dass er ihnen wieder eine Perspektive gezeigt hat. Sie sind nicht mehr die Verlierer. Die Partei, deren Zukunft unter Tony Blair schon erledigt schien, ist jetzt die neue Hoffnung. In einem Interview mit der Sonntagszeitung "The Observer" geht der Außenminister David Miliband sogar so weit, nochmal zehn Jahre Labour-Regierung für möglich zu halten.
Und so gibt es kaum Kritik an Gordon Brown in den Konferenz-Räumen, wohl auch, weil er geschickt im Vorfeld kritische Beiträge verhindert hat. Sogar seine eigenen Minister und Staatssekretäre dürfen nur je sieben Minuten reden. Nichts soll mehr an das vergangene Jahr erinnern, als zwischen Seminaren und Debatten in jedem Gang die Strategien gegen oder für Tony Blair diskutiert wurden. Gegen Gordon ist niemand hier, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.
Tories habe sich zulange ausgeruht
Gordon Brown setzt in seiner Ein-Mann-Show auf Werte-Konservatismus. Und selbst damit regt er keinen Widerstand in der Partei, keine linke Gruppierung protestiert gegen die Bibelzitate, gegen den neuen Patriotismus Brownscher Prägung. 80 Mal benutzte er in seiner Rede das Wort "britisch", sagt, er sei stolz, ein Brite zu sein, und er wolle britische Arbeit für britische Menschen schaffen. Jeder Satz ist ein Seiten-Hieb gegen die Tories, die Konservativen, und ihren Vorsitzenden David Cameron, die ihren Parteitag in der nächsten Woche feiern werden. Vor einem Jahr hatten einige Kommentatoren in den Zeitungen Cameron als den "neuen Blair" bezeichnet, den Aufsteiger mit dem größten Charisma in der britischen Politik. Da Brown die Natürlichkeit fehle, und da Cameron mit Leichtigkeit zwischen Web-Blog aus seiner Küche, der Antarktis und Talkshows hin- und hersprang, schien die Wahl zwischen den beiden klar zu sein. Doch die Tories haben sich zu schnell auf ihren Umfrage-Werten ausgeruht, sie haben nicht mit dem Machtwillen Gordon Browns gerechnet. So ist hier auf dem Labour-Parteitag 2007 etwas Unerwartetes passiert: Die Delegierten sind froh, dass der Nachfolger Blairs nicht in ihrer Partei zu sein scheint, obwohl der Kronprinz Blairs jetzt ihr Vorsitzender und Premierminister ist. Labour feiert sich in Bournemouth, nach Jahren der Selbstzerfleischung. Und David Cameron wird sich in der nächsten Woche bei der Konferenz der Konservativen in Blackpool unangenehmen Fragen stellen müssen.