Die Schlachtordnung in Libyen ist bizarr. Nein, nicht die Reihen der Rebellen oder der Gaddafi-treuen Truppen bei Aschrafiya oder Misurata, sind gemeint – sondern die Schlachtordnung bei uns in Deutschland, in Europa, in der westlichen Welt. Wer zu den entschiedendsten Gegnern des Irak-Kriegs 2003 gehörte, findet sich heute meist auf der Seite der Befürworter einer No-Fly-Zone und eines militärischen Engagements des Westens. Zugleich gehören viele, die einst nichts lieber wollten als Saddam Hussein wegzubomben, zu den größten Skeptikern bei diesem neuen Militäreinsatz.
Und haben sie nicht Recht mit ihrem Argument, dass auf Luftschläge womöglich Bodentruppen folgen müssen, um den Diktator Gaddafi zu besiegen? Wussten Sie nicht gleich, welch eigenartige Koalition der Willigen dieses Mal gemeinsame Sache macht? Bestehend aus einem Club mehr oder minder autoritärer Herrscher, der sich Arabische Liga nennt, und dessen Mitglieder in Wahrheit nichts mehr fürchten als eine demokratische Revolution vor der eigenen Tür. Aus einem bisweilen irrlichternden Präsidenten, der im kommenden Jahr um seine Wiederwahl fürchtet und sich beleidigt fühlen mag, auch wenn dieser Mann, Nicolas Sarkozy mit Namen, noch vor ein paar Jahren in Paris kaum einen Staatsmann mehr hofiert hat als Muhamar Gaddafi.
Wie glaubwürdig sind diese Kriegsherren? Und wie viel Geduld legen sie an den Tag, wenn die Sache kompliziert wird? Oder - um die Binsenweisheit aller Militär-Strategen zu zitieren: Es mag leicht sein, einen Krieg vom Zaun zu brechen. Es ist womöglich verdammt schwer, aus ihm wieder herauszukommen.
Revolution von Innen
Und doch brauchen diese Rebellen unsere Hilfe, selbst wenn nicht alle von ihnen demokratisch sein mögen. Selbst wenn einige von ihnen Islamisten sind. Selbst wenn bei manchem die Solidarität mit dem eigenen Clan größer sein mag als das Interesse an einem freien Leben für alle Bürger in Libyen.
Was wir in der arabischen Welt erleben, ist ein Aufruhr ungeahnten Ausmaßes. Ein Aufstand der Mühseligen und Beladenen, die ein Leben in Würde anstreben. Es ist eine Revolution, die nicht von Außen kommt, sondern von Innen. Ein Protest gegen alles, was diesen Teil der Welt so rückständig gemacht hat. Wenn diese Revolution gelingt, wird uns vieles nicht gefallen, was dabei herauskommt. Wenn diese Revolution scheitert, wird sie der Region vorübergehende Stabilität geben – einer Friedhofsruhe gleich. Unser Erschrecken wird in einigen Jahren umso größer sein.
Libyen ist das Land, das über den Fortgang dieser Bewegung entscheiden könnte. Wer die Rebellen dort im Stich lässt, verspielt sein Kapital. Er arbeitet den Diktatoren in die Hände. Unsere Nähe zu ihnen – all die Jahre Lang des lieben Öls wegen – hat den Westen schon viel von seiner Glaubwürdigkeit gekostet. Das amerikanische Abenteuer im Irak hat dieser Glaubwürdigkeit fast den Rest gegeben.
Kombination aus Druck und Überzeugungsarbeit
Jetzt ist es Zeit, die Rebellen zu bewaffnen. Jetzt ist es Zeit, Gaddafis Truppen in Schach zu halten. Jetzt ist die Zeit, der Diktatur Gaddafis das Ende zu bereiten. Es wäre nicht die Lösung der so vielfältigen Probleme in der arabischen Welt. Es wäre ein Anfang. Um den zu erreichen, muss man sich zur Not auch mit Leuten gemein machen, mit denen man wenig Gemeinsamkeiten hat. Mit den diskreditierten Herrschern, die sich in der Arabischen Liga zusammengefunden haben. Mit einem französischen Präsidenten, dessen Rüstungsindustrie noch bis vor kurzem die Mirage-Jets von Gaddafis Luftwaffe repariert haben.
Dann kann die eigentliche Arbeit beginnen: die Kombination aus Druck und Überzeugungsarbeit, an dessen Ende auch im Jemen, in Bahrein oder in Syrien der Wille des Volkes zur Geltung kommt. Selbst wenn der nicht immer dem Willen des Westens entsprechen mag. Es gibt dazu keine Alternative.