"Mit dem Wissen, das ich jetzt habe, hätte ich die Dinge zweifellos anders gehandhabt", sagt Liz Truss heute. Nach ihrem Sturz im Oktober 2022 hat sich Großbritanniens Ex-Premierministerin erstmals zu Wort gemeldet. "Ich glaubte, dass meine Politik mittelfristig das Wachstum steigern und damit die Verschuldung verringern würde", schreibt die 47-Jährige 100 Tage nach ihrem Aus als Premierministerin. "Ein sehr mächtiges wirtschaftliches Establishment und mangelnde politische Unterstützung" macht Truss in einem Essay im britischen "Sunday Telegraph" für ihr Scheitern verantwortlich.
Liz Truss beerbte im vergangenen Sommer Boris Johnson in seinem Amt als britischer Premier. Sie trat mit dem Versprechen an, die Steuern im Land radikal zu senken. Gleichzeitig sollte das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden. Die dadurch ausgelöste Finanzkrise jagte Truss nur wenige Monate nach ihrem Amtsantritt aus Downing Street 10. Seitdem managt Truss' ehemaliger Kontrahent, Ex-Schatzkanzler Rishi Sunak, die Geschicke Großbritanniens.
In den ersten 100 Tagen nach ihrer Regentschaft hat sich Liz Truss Gedanken über ihr Scheitern in Downing Street gemacht. "Diese Seelensuche war nicht einfach", gibt sie zu.
Liz Truss blieb ihrem Wahlversprechen treu
Nachdem Boris Johnson im Juli seinen Rücktritt verkündet hatte, bewarb sich Liz Truss im anschließenden innerparteilichen Wahlkampf um den Posten als Premierministerin mit einem Konzept aus Steuersenkungen und gleichzeitigem Wirtschaftswachstum. Das Versprechen kam bei den Mitgliedern der konservativen Partei gut an, die sie zur Parteichefin und neuen Premierministerin wählten. "Ich betrat Downing Street 10, fest entschlossen, die von mir versprochene mutige Aktion zu liefern, wobei Wirtschaftlichkeit und Energie, meine Hauptprioritäten, ganz oben lagen."
Viele Wirtschaftsexperten hingegen kritisierten ihre Steuersenkungspläne als nicht finanzierbar. Als die Pläne dennoch verkündet wurden, kam es schlagartig zu einer Finanzkrise, weil die Märkte die Kreditwürdigkeit der britischen Regierung anzweifelten.
Truss glaubt, über Pensionskassen gestolpert zu sein
Heute glaubt Truss, dass die Pensionskassen ihre Pläne und ihre politische Karriere durchkreuzten. In den frühen 2000ern seien die britischen Pensionskassen stark unterfinanziert gewesen, moniert sie. Um die Rendite zu steigern, seien LDIs eingesetzt worden, sogenannte Anleihederivate. Dabei handelt es sich um Finanzprodukte, deren Preis sich von Anleihen wie Wertpapieren, Rohstoffen, Devisen oder Zinsen ableitet. Die freigesetzten Barmittel wurden in andere Vermögensmittel investiert.
Weil führende Banken in Großbritannien und den USA wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Zinsen erhöhten, brachen die Anleihekurse stark zusammen – auf Kosten der Pensionskassen, wie Truss heute sagt.
Öffentlich sei aber ihr für die Steuersenkungen veranlasstes Mini-Budget für die Turbulenzen verantwortlich gemacht worden. Dafür wurde Truss international kritisiert, unter anderem von US-Präsident Joe Biden. Er bezeichnete die Abschaffung des Spitzensteuersatzes für Superreiche als "Fehler". Hochrangige Beamte hätten Truss zudem davor gewarnt, dass Großbritannien seine Schulden nicht mehr finanzieren könne.
Truss feuerte entgegen ihren Überzeugungen den amtierenden Schatzmeister Kwasi Kwarteng, hielt aber weiter an ihren Plänen fest. "Ich glaube immer noch, dass es das Richtige war, das ursprüngliche politische Rezept zu liefern, für das ich bei der Wahl die Führung erkämpft hatte, aber die Kräfte dagegen waren zu groß."
Von Fiskalpolitik ausgebremst?
Dazu bekennt sie sich heute in ihrem Essay: "Ich wollte Premierministerin werden, um Dinge zu verändern, nicht um den Niedergang zu bewältigen oder unserem Land vorzustehen, das in die Stagnation abgleitet." Gleichzeitig kritisiert sie das Wirtschaftssystem und ihre eigene konservative Partei. Diese habe sich auf die Vorteile öffentlicher Ausgaben versteift, ohne ihren Reformplänen eine Chance zu geben.
"Ich behaupte nicht an allem, was passiert ist, schuldlos zu sein, aber im Grunde wurde mir von einem sehr mächtigen wirtschaftlichen Establishment, gepaart mit einem Mangel an politischer Unterstützung, keine realistische Chance gegeben, meine Politik durchzusetzen." Die Fiskalpolitik stecke Großbritannien in eine "Zwangsjacke". Sie habe ihr Amt in dem Glauben angetreten, dass ihr Mandat respektiert werde. Stattdessen sei sie auf Wiederstand gestoßen, den sie unterschätzt habe.
Sie bedauere, dass ihr Programm nicht vollständig umgesetzt worden sei. Ihren Nachfolger Rishi Sunak erwähnte sie nicht namentlich, ließ aber durchblicken, dass sie seine auf eine Konsolidierung des Haushalts ausgerichtete Steuerpolitik kritisch sieht.
Quellen: "The Telegraph", "Wirtschaftswoche", "Der Spiegel", mit Material von DPA