Wohl alle Palästinenser haben gehofft, dass der frühere PLO-Chef Jassir Arafat eines Tages exhumiert werden würde. Denn der letzte Wunsch des Volkshelden mit der markanten Sonnenbrille und der olivgrünen Jacke war es, die letzte Ruhe in Jerusalem als Hauptstadt eines souveränen Palästinenserstaates zu finden. Dieses Ziel scheint zwar seit seinem Tod am 11. November 2004 in einem französischen Militärhospital in noch weitere Ferne gerückt zu sein. Dennoch ist das Grab unter dem eindrucksvollen Mausoleum in Ramallah am Morgen geöffnet worden. Wie der offizielle Sender Radio Palästina berichtete, begannen ausländische Experten im hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmten Mausoleum Arafats mit der Entnahme von Proben, um den Verdacht einer Vergiftung des damals 75-jährigen Arafats zu überprüfen. Dies werde einige Stunden dauern.
Ausgelöst wurde die Aktion durch Untersuchungen in der Schweiz. Experten des "Institut de radiophysique" der Universitätsklinik in Lausanne fanden im Juli erhöhte Werte des radioaktiven Stoffes Polonium-210 an Arafats Unterhose. Mit derselben Substanz war der frühere KGB-Agent Alexander Litwinenko 2006 in London vergiftet worden.
Allerdings eilt es mit der Untersuchung, denn Polonium-210 zerfällt schnell. "Das macht nur bis Oktober oder November Sinn", sagte der Sprecher der Universitätsklinik, Darcy Christen. Später wären mögliche radioaktive Spuren im Knochengewebe Arafats nicht mehr nachweisbar.
Für Palästinenser steht Vergiftung fest
Dass die Zeit nun so knapp wird, liegt vor allem an der Brisanz der Exhumierung. Arafat ist in der Erinnerung vieler Palästinenser inzwischen fast so etwas wie ein Volksheiliger, und auch die mögliche Verletzung religiöser Gefühle verzögerte die Erlaubnis zur Graböffnung immer wieder. Die Strafanzeige der Arafat-Witwe Suha in Frankreich wegen Giftmordes machte die Entscheidung auch nicht einfacher, weil die Exhumierung nun auch noch mit den französischen Ermittlungsbehörden abgestimmt werden musste.
Am schwersten aber wog wohl, dass viele Palästinenser die Aufregung ohnehin für überflüssig halten. Für sie steht fest, dass Erzfeind Israel ihren "Führer" vergiftet hat. Daran würde sich wohl auch nichts ändern, wenn die Experten aus der Schweiz und aus Russland gar kein Polonium-210 finden sollten.
Der französische Strahlenmediziner Roland Masse hält die Suche nach der radioaktiven Substanz aus anderen Gründen für vergeblich. Es sei "absolut unmöglich", dass Arafat mit Polonium-210 vergiftet wurde, sagte er kürzlich. Das hätte kein Arzt damals übersehen können, meint der Mitarbeiter des Krankenhauses bei Paris, in dem Arafat starb.
Israel hat Giftmord immer dementiert
Der prominenteste Anhänger der Giftmordtheorie ist Arafats Neffe Nasser Kudwa. Kudwa, Mitglied der Fatah-Führung und Leiter des Arafat-Instituts in Ramallah, ist überzeugt, dass es auch ohne die neue Untersuchung schon erdrückende Beweise für die Vergiftung seines Onkels durch Israel gebe. Deshalb müsse niemand Arafats Grab antasten. Viel wichtiger findet er, Israel für Arafats Ableben zur Rechenschaft zu ziehen. Die Israelis haben jedoch stets dementiert, irgendetwas mit dem Tod ihres langjährigen Gegners zu tun zu haben.
Gründe, den alternden Patriarchen und Palästinenserpräsidenten ins Jenseits zu befördern, könnten indes auch andere gehabt haben. Intrigen lassen viel Raum für Verschwörungstheorien. Mit seinem autoritären Führungsstil aus der Guerilla-Zeit hat sich Arafat, der auch mal einen Minister ohrfeigte und einen Sicherheitschef mit vorgehaltener Pistole entließ, wohl nicht nur Freunde gemacht. Zudem wucherte unter seiner Führung die Korruption und Hilfsmillionen wurden nicht nur in Aufbauprojekte, sondern auch auf Konten in fernen Steuerparadiesen gelenkt.
Drei Expertenteams im Einsatz
Vor Ort sind nun drei Teams aktiv: Neben den Schweizern sind Franzosen dabei, nachdem Arafats Witwe Suha Anzeige wegen Mordes in Frankreich erstattet hatte. Auf Bitten der Palästinensischen Autonomiebehörde wurden zudem auch russische Experten hinzugezogen. Nach dem Ende der Exhumierung soll Arafat noch im Laufe des Tages in einer offiziellen Zeremonie wieder beigesetzt werden.