Nahost-Tagebuch Eine Reise in den Krieg

Layla al Zubaidi besucht in Amman einen Filmkurs, als der Krieg in ihrer Wahlheimat Beirut losbricht. Trotzdem macht sie sich auf den Weg in den Libanon. Für stern.de hat sie darüber Tagebuch geführt. Teil 1 von 3

Amman, Jordanien, 13. Juli 2006
Ein Morgen wie jeder andere. Aufstehen, eine Tasse Tee aufgießen, sie mit ins Bett nehmen. Das Telefon klingelt. Die Stimme meiner Mitbewohnerin fragt mich "Was wirst du jetzt tun?". Ich sage ihr, dass ich aufstehen, mich anziehen und dann zu ihr kommen werde. Ich bin in Amman für einen Filmkurs und hatte versprochen ihr einiges von hier mitzubringen. "Nein, ich meine was du jetzt mit deinem Flug machen wirst." Ich verstehe nicht. Was ist mit meinem Flug? "Hast du die Nachrichten nicht gesehen? Die Israelis haben den Flughafen von Beirut bombardiert."

Vielleicht wäre ich weniger überrascht gewesen, wenn ich einen Tag vorher die Nachrichten geschaut hätte: Die Hisbollah hatte zwei Israelische Soldaten entführt, um Verhandlungen über libanesische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erzwingen.

Ich finde den Fernseher angeschaltet und einen Freund schlafend auf der Couch vor. Er ist ein syrischer Journalist, der in der Wohnung lebt, in der ich in Amman wohne. Sein Kollege hatte einen schweren Autounfall in derselben Nacht; er hat dabei seinen Rücken gebrochen und ein Bein verloren. In der Nacht, in der er nach Hause gekommen war, stellte er fest, dass sich das israelische Kabinett versammelt hatte. Was zu dieser Zeit immer ein schlechtes Zeichen ist. Eine israelische Invasion befürchtend, hatte er vor dem Fernseher geschlafen. In der nächsten Zeit wird er zwischen Fernseher und Krankenhaus pendeln, und Zeuge des langsamen Todes seines Freundes. Und ich werde zwischen dem Fernseher und einem Internetcafe pendeln, um sicherzugehen, dass es meinen Freunden gut geht.

Der Flughafen wurde für 48 Stunden geschlossen. Im Südlibanon sind 44 Zivilisten bei Luftangriffen ums Leben gekommen.

Amman, 14. Juli 2006


Ich bekomme einen Telefonanruf, dass mein Flug auf den 18. Juli verschoben wurde. Später an diesem Tag werden alle Flüge bis auf weiteres verschoben. Mehr Leute sterben. Verschieden Straßen nach Syrien werden bombardiert. Israelische Kriegsschiffe feuern vom Meer aus. Brücken, Straßen, Häuser, Verlage und Sender werden zerstört. Der Libanon ist von der Luft, von der See und vom Land aus isoliert. Ich entscheide mich, trotzdem mit einem Auto nach Damaskus zu fahren. Ich muss nur auf ein Durchgangsvisum für Syrien warten. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren, als herauszufinden wie ich zurückkomme und wie ich meine Freunde erreiche. Warten, E-Mails checken, warten, E-Mails checken. Ich sollte froh sein, dass ich weit weg bin, aber es ist genau das Gegenteil: das Gefühl in einem Exil festzusitzen, sich dafür zu schämen in dieser schweren Stunde nicht bei ihnen zu sein.

Layla al Zubaidi

33, wurde in Heidelberg geboren, hat Ethnologie in Berlin studiert und arbeitet seit fünf Jahren für eine deutsche Institution der Entwicklungszusammenarbeit - zunächst in den palästinensischen Gebieten und derzeit im Libanon.

Amman, 15. Juli 2006
Noch mehr Bilder von sterbenden, verbrannten Körpern; Leute in Panik, sie fliehen in ihren Autos, in Bussen, in Pick-Ups, zu Fuß. Israelische Offizielle erklären, dass sie keine zivilen Ziele anpeilen. Nur schade, dass Haret Hreik, wo sich das Hisbollah-"Hauptquartier" befindet, eine der am dichtesten bewohnten Viertel Beiruts ist. Was für eine Herausforderung für die Technokraten des Krieges. Korrespondenten der wichtigsten Nachrichtenkanäle tragen jetzt kugelsichere Westen und Helme, ihre Schlagzeilen lauten jetzt "Belagerung im Libanon", untermalt von dramatischer Musik. Ich schau es mir in einem Internetcafe an.

Ein Libanese, der hier ebenfalls fest sitzt, scherzt, man hätte Beirut nach dem Bürgerkrieg einfach in Ruinen lassen sollen, dann müsste man die Stadt wenigstens nicht zum zweiten Mal wiederaufbauen. Er telefoniert durchgehend mit seiner Familie, weil er Angst hat, dass die Leitung irgendwann gekappt wird. Es sollte die Urlaubssaison werden. Millionen von Touristen aus der Golfregion wurden erwartet, um der seit dem Attentat auf den Ministerpräsidenten Hariri im August 2005 ohnehin instabile Wirtschaft einen Schub zu geben. Von einem Tag auf den anderen hat sich der Libanon wieder in ein Kriegsgebiet verwandelt.

Ein Krieg in unserer Region hat immer etwas Seltsames, Absurdes. Wie kann dies immer noch passieren? Sollten wir nicht in einer Welt der Aufklärung, der Menschenrechte, der internationalen Kooperation und der kulturellen Verständigung leben? Natürlich klingt dies naiv. Dass es zu gewaltsamen Ausbrüchen in der Region kommen würde, dass wichtige Fragen ungeklärt bleiben würden, damit konnte man rechnen. Und trotzdem muss ich zugeben, dass ich immer wieder erstaunt bin, wie schnell wir zu der Sprache der Rache, des Hasses und des Todes zurückkehren.

Ich rufe eine Freundin an, die in Haret Hreik lebt. Sie war von ihrem Haus in eine andere Wohnung geflohen, obwohl die immer noch sehr nah am Geschehen ist. Sie spricht von einem Inferno. Vom achten Stock aus hat sie sterbende Menschen gesehen, einstürzenden Häuser, Autos, die in Flammen aufgingen. Und doch hatte sie zu viel Angst, das Haus zu verlassen. Was, wenn Hisbollah-Kämpfer Granaten von ihrem Garten aus abfeuern würden? Dann würde das Haus von israelischen Bombern dem Erdboden gleich gemacht.

Layla al Zubaidi