Lage in Nahost Königreich in der Zwickmühle – wie sich Jordanien zwischen allen Fronten bewegt

Der jordanische König Abdullah II. schreitet bei einem Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten El-Sisi den roten Teppich ab
König in der Zerreißprobe: Jordaniens Abdullah II. (rechts), hier beim Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah El-Sisi, will eine Eskalation des Nahostkriegs verhindern
© APAImages/Shutterstock
In Nahost droht ein militärisches Tennismatch zwischen Israel und dem Iran. Und mittendrin, quasi als Netz: Jordanien. Das kleine Land ist zwischen die Fronten geraten – auch deshalb, weil es gegensätzliche Interessen vertritt.

In diesen Tagen muss Abdullah II., König von Jordanien, sich fühlen wie ein diplomatischer Jongleur mit einem ziemlich großen Problem: In der Hand hält er nicht fünf Bälle, sondern fünf Granaten. Lässt er eine von ihnen fallen, zittert der Boden in Nahost. Treue zu Washington, Partnerschaft mit Jerusalem, Furcht vor Teheran, Sorge um Gaza und Unruhen in Amman, der eigenen Hauptstadt. Behält Abdullah den Überblick, die Nerven, die Kontrolle?

Lange bezeichnete man das arabische Königreich gern als Insel der Stabilität in einem Meer voller Chaos. Seit diesem Wochenende trifft es das Bild eines Segelschiffs in Seenot besser. Als in der Nacht zum Sonntag der Iran hunderte Drohnen, Raketen und Marschflugkörper in Richtung Israel feuerte – eine Reaktion auf eine wohl von Tel Aviv orchestrierte Bombardierung des iranischen Konsulats in Syrien –, da tat Jordanien Unerwartetes: Es ließ F16-Kampfjets seiner Luftwaffe aufsteigen und einige Dutzend Geschosse vom Himmel holen. Und befindet sich deshalb nun endgültig in einer Zwickmühle, innen- wie außenpolitisch.

Dass westliche Alliierte wie die USA, Großbritannien und Frankreich bei der Abwehr eines iranischen Angriffs zur Hilfe kommen würden, war erwartet worden. Aber Jordanien als Israels Verteidiger der Lüfte? Jenes Land, dessen Militärflugzeuge zwischen 1948 und 1973 selbst bereits viermal gegen den jüdischen Staat zu Kriege zogen? Alte Israelis können sich noch erinnern an Bombardierungen aus Amman. Nun betitelte die "Jerusalem Post" einen ihrer Artikel über Jordaniens Einsatz mit der Zeile: "Vom Feind zum Verbündeten". 

Kalter Frieden zwischen Jordanien und Israel

Ganz so leicht ist es nicht. Die jordanisch-israelische Beziehung ist seit jeher kompliziert. Vor fast genau 30 Jahren, im Oktober 1994, schlossen beide Länder im Nachklapp der Oslo-II-Verträge ein Friedensabkommen. Telefon- und Flugverbindungen wurden eingerichtet, eine jordanische Botschaft öffnete in Tel Aviv, eine israelische in Amman, die Polizeibehörden arbeiteten künftig zusammen, im Grenzgebiet entstanden gemeinsam genutzte Industrieparks. Israel übergab Jordanien sogar 16 ausrangierte Cobra-Helikopter, um damit gegen den Islamischen Staat zu kämpfen. 

Nahost-Expertin Kristin Helberg über den Konflikt zwischen Iran und Israel
Nahost-Expertin Kristin Helberg über den Konflikt zwischen Iran und Israel
© n-tv.de
Expertin zu Israels Reaktion auf iranischen Angriff: "Moment der Stärke nutzen"

Doch es war ein kalter Frieden, eine Wirtschafts- und Sicherheitsallianz, keine Aussöhnung der Völker. Die konnte es nicht geben, angesichts der 2,4 Millionen palästinensischen Flüchtlinge, die in Jordanien registriert sind. Sie bilden 20 Prozent der jordanischen Bevölkerung, nirgendwo ist ihre Diaspora größer. Palästinensisch-Stämmige sind im haschemitischen Königreich inzwischen in der Mehrheit. Mit Königin Rania steht eine der ihren sogar an der Staatsspitze. 

Entsprechend israelfeindlich ist die Stimmung auf jordanischen Straßen: Seit Premier Benjamin Netanjahu die Gräueltaten der Hamas am 7. Oktober mit Bomben auf Gaza beantwortete, ziehen Tausende Demonstranten Woche für Woche vor das Botschaftsgebäude mit dem Morgenstern. Sie fordern ihre Regierung auf, das Friedensabkommen mit Israel zu annullieren.

König Abdullah flog höchstpersönlich Hilfslieferungen nach Gaza

Im Gazakrieg steht Amman tatsächlich fest auf der Seite der Palästinenser. Das jordanische Militär warf Hilfsgüter über dem kriegsversehrten Streifen ab, noch bevor die Amerikaner es taten. Prinzessin Salma, die erste jordanische Kampfpilotin überhaupt, und auch ihr Vater – der König – flogen bei Lieferungen höchstpersönlich mit. Der jordanische Außenminister Ayman Safadi nannte das Vorgehen des israelischen Militärs einen "Genozid". Im November platzte ein Wirtschaftsdeal, der Jordanien Wasser und Israel im Gegenzug Energieimporte eingebracht hätte. 

Royal Airforce im Wortsinn: Prinzessin Salma (Mitte) ist die erste Kampfpilotin in Jordanien. Auch bei Hilfslieferungen nach Gaza flog sie mit.
Royal Airforce im Wortsinn: Prinzessin Salma (Mitte) ist die erste Kampfpilotin in Jordanien. Auch bei Hilfslieferungen nach Gaza flog sie mit.
© Jordanian Armed Forces / AFP

König Abdullah muss seiltanzen: zwischen seiner außenpolitischen Doktrin der Entspannung und des regionalen Ausgleichs auf der einen und dem innenpolitischen Druck auf der anderen Seite. Entsprechend wackelig war die offizielle jordanische Reaktion nach den abgefangenen iranischen Drohnen. Während Israel öffentlich den regionalen Schulterschluss feierte, blieb der arabische Nachbar zurückhaltend: Der Einsatz im eigenen Luftraum sei keine explizite Hilfe für Israel gewesen, sondern ein Akt der Selbstverteidigung, ein Schutz der eigenen Bevölkerung. Auch zukünftig werde Jordanien sich gegen Übergriffe "sämtlicher Parteien" wehren, stellte Minister Safadi in TV-Interviews klar. 

Ein Statement mit Kalkül in Richtung Teheran. Dort hatte man Jordanien noch in der Nacht des großen Angriffs gewarnt, sich einzumischen – das mache das kleine Land "zum nächsten Ziel". Noch am Sonntag bestellte das jordanische Außenministerium deshalb den iranischen Botschafter zum Gespräch ein. Der Luftwaffeneinsatz zugunsten Israels "setzt Jordanien unter Druck", sagte Saudi al-Sharafat, Gründer eines Thinktanks und ehemals Brigadegeneral beim jordanischen Geheimdienst, der "Washington Post".

Partner Israels, Verbündeter Washingtons, Schutzmacht der Palästinenser – geht das?

Jordanien ist zwischen die Fronten geraten: als Partner Israels, Verbündeter der USA und Schutzmacht der Palästinenser. Ideologisch sowieso. Und nun auch geographisch – direkt im Westen Israel, weiter im Osten der Iran. Die Nächte in Amman werden in Zukunft wohl öfter hell erleuchtet sein von Drohnen- und Raketenschweifen. Dass Israel auf Irans Angriff reagieren wird, ist keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann und Wie. Es droht ein stetes Hin und Her der Luftangriffe, ein militärisches Tennismatch, und mittendrin, quasi als Netz: Jordanien. 

Irans Angriff auf Israel Karte
Irans Angriff auf Israel: Am 13. April hat der Iran insgesamt mehr als 300 Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen auf Israel abgefeuert
© stern, DPA Infografik; Quelle: ISW/IDF/dpa

König Abdullah II. und sein Kabinett hatten das scheinbar schon länger befürchtet. Ende 2023 baten sie Washington um ein Patriot-Luftabwehrsystem. Seitdem haben die USA ihre militärische Hilfe für das Königreich nach oben geschraubt. Am amerikanischen Hilfstropf hängt Jordanien ohnehin schon, erhält jährlich knapp eine Milliarde Dollar an amerikanischer Entwicklungs- und Militärhilfe. Die Gelder müssen regelmäßig vom US-Kongress bewilligt werden. Der arabische Beistand der (einst von den Amerikanern gelieferten) F16-Kampfjets könnte also auch als Dienst für einen alten, zahlungswilligen Freund verstanden werden. 

US-Militärs dürfen sich frei im Land bewegen. Auf zwei Militärbasen bilden sie die jordanische Truppe aus. Im Januar starben dort drei amerikanische Soldaten nach einer Drohnenattacke aus dem Irak. Verursacher: Die Terrorgruppe Kataib Hisbollah, die dem Iran Treue schwört. Gleichzeitig schmuggeln iranische Stellvertreter aus Syrien Drogen und Waffen ins Land. Schon länger versucht die Führung in Teheran, Jordanien von Norden aus zu destabilisieren.

Am Montag sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums: "Unsere Beziehungen mit Jordanien sind freundschaftlich." Es war nur gute Miene zu einem bösen Spiel, in dem es Jordanien allen recht machen will, aber nicht recht machen kann. Das ist die Tragik für König Abdullah II.: Er kann noch so sehr jonglieren, hat es am Ende aber nicht selbst in der Hand. Wie es weitergeht für sein Land, liegt nun in der Natur des angekündigten israelischen Gegenschlags auf den Iran – und damit in der Macht eines Mannes in Tel Aviv: Benjamin Netanjahu.