Am Wochenende musste auch Shinzo Abe eingestehen, dass es so nicht weitergeht mit Fukushima. Der stolze japanische Premierminister bat auf einer internationalen Wissenschaftskonferenz öffentlich um Hilfe. "Mein Land braucht Ihr Wissen und Ihre Expertise", sagte Abe. Es klingt wie ein Kniefall, denn lange hatte Japan auf jede Hilfe von außen dankend verzichtet. Vom 14. bis 21. Oktober soll nun eine internationale Expertengruppe nach Fukushima reisen, um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen.
Und die scheint, zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe, ernst zu sein. Immer wieder ist in den vergangenen Tagen verseuchtes Wasser durch Lecks ausgetreten, ein Tank soll sogar einfach übergelaufen sein. Weil die Reaktoren des beschädigten Werkes permanent gekühlt werden müssen, sind mittlerweile rund 1000 Tanks vollgelaufen. Die Betreibergesellschaft Tepco ist offenbar überfordert. Beinahe täglich gibt es neue Pannen: Zeitweise fiel ein Filtersystem für kontaminiertes Wasser aus, dann schaltete ein Arbeiter versehentlich die Kühlwasserpumpen der Reaktoren ab. Und dann wurden auch noch sechs Arbeiter mit kontaminiertem Wasser bespritzt, als sie versehentlich ein Rohr an einer Entsalzungsanlage entfernten.
Keine guten Voraussetzungen für die heikle Aufgabe, die nun ansteht: Die Brennstäbe, die im beschädigten Reaktor 4 oberhalb der Erde liegen, sollen in den kommenden Wochen an einen sichereren Ort gebracht werden. Kann die Pannenfirma Tepco das überhaupt? Und was passiert, wenn sie die gefährliche Operation nicht hinbekommen?
Droht die Apokalypse?
Der amerikanische Autor und Aktivist Harvey Wasserman sorgt derzeit mit einem apokalyptischen Artikel ("Der gefährlichste Moment für die Menschheit") zur Lage in Fukushima für Aufsehen. Die 400 Tonnen schweren Brennstäbe in dem Abklingbecken in Reaktor 4 könnten 15.000 Mal so viel radioaktive Strahlung freisetzen wie bei der Atombombe von Hiroshima, schreibt Wasserman. Weder Tepco noch die japanische Regierung hätten die Ressourcen, das Risiko zu kontrollieren. Den früheren japanischen Botschafter Mitsuhei Murata zitiert er mit den Worten, dies sei "eine Frage des Überlebens der Menschheit". Im Internet hat Wasserman eine Petition gestartet, die die Vereinten Nationen auffordert, die Aufgabe zu übernehmen. 72.000 Menschen haben schon unterschrieben. Das Portal "Deutsche Wirtschafts Nachrichten" hatte den Artikel auf deutsch verbreitet.
Andere Experten sehen die Lage ebenfalls kritisch, warnen aber vor Weltuntergangsprophezeiungen. "Das ist eine große, gefährliche Aufgabe, aber an die Apokalypse glaube ich nicht", sagt Susanne Neubronner von Greenpeace zu stern.de. Sven Dokter von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit warnt ebenfalls vor Panikmache. Das Horrorszenario "15.000 Mal Hiroshima" will er so nicht stehen lassen. "Der allergrößte Teil der radioaktiven Stoffe liegt in fester Form vor. Es ist kein plausibles Szenario vorstellbar, in dem diese Feststoffe auf einen Schlag in die Atmosphäre gelangen könnten", sagt Dokter. Selbst wenn die Kühlung tatsächlich ausfallen würde, so seien die Brennstäbe nach rund zweieinhalb Jahren Abkühlzeit wohl nicht mehr in der Lage, sich selbst zu entzünden.
Für die Arbeiter und die Region bleibt die radioaktive Gefahr aber auch in einem abgeschwächten Szenario erhalten. Deshalb hält Atom-Expertin Neubronner externe Hilfe für unerlässlich. "Tepco ist nicht in der Lage, die Situation alleine zu lösen", sagt Neubronner. Lange habe das Unternehmen die Lage beschönigt, die Probleme aber nicht in den Griff bekommen. Nun müsse das Land endlich Hilfe von außen annehmen.
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