Louis Ortiz sitzt in einem Hotelzimmer in Atlanta. Eigentlich gibt er gerade ein Telefoninterview, nebenbei läuft der Fernseher. Jetzt tritt Barack Obama vor die Kameras, um über den Hurrikan "Sandy" zu sprechen. Louis vergisst für einen Augenblick sein Interview und beginnt, Obamas Worte nachzusprechen. So wie immer, wenn er den Präsidenten auf dem Bildschirm sieht. Stimme hoch. Stimme runter. Ein wenig abgehackt, konzentriert, kraftvoll. "Make no mistake", sagt Obama. "Make no mistake", sagt Ortiz, täuschen Sie sich nicht. Louis Ortiz klingt in diesem Moment genau wie Barack Obama. Und er sieht fast genauso aus. Die großen Ohren, die Haarlinie, das Lächeln. Selbst das Muttermal an der Nase hat Ortiz mit Obama gemein. "Ich habe den genetischen Jackpot gezogen", sagt Ortiz und lacht.
Louis Ortiz ist 41 Jahre alt, ein herzlicher Kerl mit puerto-ricanischen Wurzeln aus der New Yorker Bronx. Wie sehr er den Präsidentschaftswahlen 2012 entgegen fiebern würde, hätte er noch im letzten Wahlkampf nicht für möglich gehalten. Für Politik interessierte er sich damals kaum, er ging nur selten wählen. Dieses Jahr hat er dagegen fast jeden Obama-Auftritt gesehen, analysiert, Wort für Wort nachgesprochen. Das ist sein Training, sein neues Leben.
Dieses neue Leben verdankt er dem Barkeeper seiner Stammkneipe. Der meinte 2008, Ortiz sollte mal seinen Bart abrasieren, er hätte eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Präsidentschaftskandidaten namens Obama. Als der Bart ab ist und Ortiz sein einziges Hemd und Sakko überstreift, wird ihm klar, wie sehr er Obama tatsächlich ähnelt. Und dass man daraus vielleicht mehr machen könnte. Ortiz, der nichts mit Comedy oder Schauspiel am Hut hat, ist der geborene Obama-Doppelgänger. Aber die Sprachgewandtheit, das geschliffene Harvard-Vokabular Obamas, das fehlt dem Telefontechniker Ortiz zu diesem Zeitpunkt noch.
Ortiz setzt alles auf eine Karte
2010 verliert Ortiz seinen Job, ein Jahr später ist er immer noch arbeitslos. Er braucht eine neue Perspektive. Und setzt alles auf eine Karte. Er heuert einen Manager an, nimmt Sprach- und Stimmunterricht, er lernt die typischen Obama-Manierismen: die Phrasen wie "make no mistake" und "you see", den Tonfall, die schwammigen Aussagen. "Ich habe gelernt, mich wie ein Politiker zu verhalten", sagt Ortiz, "und Fragen zu beantworten, ohne sie zu beantworten." Er lässt sich sogar die kleine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen füllen, die ihn von Obama unterscheidet. Er wird vom bloßen Doppelgänger zum Imitator.
Die Strategie geht auf. Im Moment läuft es gut für Ortiz, er ist rund um den Wahltermin ein gefragter Mann. Er tingelt unter seinem Künstlernamen Maxwell Price durch die USA, ziert Zeitschriftencover, tritt im Fernsehen auf oder bei Firmenevents. Sogar ein Dokumentarfilm wird über ihn gedreht. Den Bronx-Obama nennen sie ihn, in New York ist er schon eine kleine Berühmtheit. Er könne kaum noch ohne Perücke oder Sonnenbrille aus dem Haus gehen, ohne erkannt zu werden, sagt er. "Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel Aufmerksamkeit bekomme. Manchmal wird es mir schon fast zu viel."
So wie neulich, als eine ältere Dame ihn in einer Starbucks-Filiale für den echten Obama hielt. Sie wirkte schrecklich aufgeregt, als sie ihm zitternd zurief, wie sehr sie seine Frau Michelle und seine Gesundheitspolitik bewundere. Es dauerte eine Weile, bis er sie davon überzeugen konnte, dass der echte Präsident beim Kaffeetrinken vermutlich mehr Sicherheitspersonal dabei gehabt hätte.
"Ich war noch nie so aufgeregt vor einer Wahl
Trotzdem, Ortiz genießt die Aufmerksamkeit. Er lässt sich gern mit seinen Fans fotografieren. Von der Wahl hängt ab, wie es mit ihm und seiner Karriere als Obama-Imitator weitergeht. Verliert Obama, dürfte das Interesse an Louis Ortiz schnell abflauen.
"Ich war noch nie so aufgeregt vor einer Wahl", sagt Louis Ortiz. Die meisten Amerikaner wissen es nicht, aber sie bestimmen am Dienstag nicht nur, wer die nächsten vier Jahre Präsident ist. Sie stimmen auch darüber ab, ob Louis Ortiz weiterhin sein neues Leben genießen kann. Oder ob er wieder zum Arbeitsamt gehen muss.
Der Film "The Audacity of Louis Ortiz" von Ryan Murdock ist ein unabhängiges Dokumentarfilmprojekt, das 2013 fertig werden soll und das sich vor allem durch Spenden finanziert. Mehr Informationen unter: audacitythemovie.com