Presseschau zum Pussy-Riot-Prozess Gnade vor Recht

Und plötzlich fordert Kremlchef Wladimir Putin eine milde Strafe für Pussy Riot. Echtes Mitgefühl oder politisches Kalkül? stern.de hat einen Blick in deutsche Zeitungen geworfen.

Kehrtwende im (Schau-)prozess gegen drei Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot: Nach den martialischen Äußerungen der letzten Wochen überrascht Russlands Präsident Wladimir Putin mit einem Ruf nach Milde. Doch was steckt hinter der Kehrtwende des Kremlchefs? stern.de hat einen Blick in die Kommentarspalten deutscher Tageszeitungen geworfen. Und einen gemeinsamen Nenner festgestellt: Mit echtem Mitgefühl hat Putins Schritt wohl nur wenig zu tun.

"Donaukurier" aus Ingolstadt

Der "Donaukurier" aus Ingolstadt deutet die Putins Wendung als einen Sieg der russischen Protestkünstlerinnen:

"Anscheinend ist dem uneingeschränkten Herrscher im Kreml das internationale Echo auf den bizarren Prozess nun doch unangenehm. Aber auch diese neue Wendung offenbart mehr über das System Putin, als dem Präsidenten lieb sein kann. Die enge Verbindung von Kreml und Kirche, der verstärkte Einsatz der russischen Justiz als Waffe gegen die Opposition - die drei jungen Frauen haben mit ihrer knapp einminütigen und durchaus angreifbaren Provokation schon mehr erreicht, als sie erhoffen konnten."

"Allgemeine Zeitung Mainz"

Der Kommentar der "Allgemeinen Zeitung Mainz" warnt dagegen vor zuviel Euphorie und erinnert an andere, weniger medienpräsente Prozesse in Russland:

"Wladimir Putin habe sich 'weicher' geäußert als früher, meint der Verteidiger der Frauen-Punkband Pussy Riot. Der Anwalt geht auf Schmusekurs. Das ehrt ihn, denn es würde Putin nur einen Anruf kosten, und die drei jungen Frauen fänden sich für Jahre im Kerker wieder. Wladimir Putin war niemals weich, er ist es nicht, und er wird es niemals sein. [...] Putin ist ein eiskalter Taktiker. Pussy Riot sind populär, die internationale Künstlerszene rebelliert gegen ihre Verhaftung. Dagegen ist der Fall Chodorkowski in der Öffentlichkeit kaum präsent."

"Märkische Oderzeitung"

Die "Märkische Oderzeitung" sieht die Angelegenheit noch fatalistischer:

"Wie ist das nun zu bewerten? Als Versuch, das internationale Image nicht noch weiter zu ramponieren? Innenpolitisch ein wenig Dampf aus dem Kessel zu lassen? Oder nur ein weiterer Zynismus, der dann seine Vollendung fände, wenn die Urteile trotz allem so ausfielen wie bislang befürchtet? Und Putin dann nur bedauernd mit den Schultern zu zucken brauchte. Man könne die Richter ja nicht beeinflussen. Alles ist möglich in diesem Theater."

"Braunschweiger Zeitung"

Die "Braunschweiger Zeitung" weißt darauf hin, dass für Recht kein Platz mehr ist, wenn ein Herrscher nach Gutdünken den Daumen heben oder senken kann:

"Der Fall ist wegen Putins vordergründiger Kehrtwende zur Milde von besonderem Interesse, weil er exemplarisch zeigt, welchen Stellenwert das Recht in seinem Reich hat. Es ist das Recht des Stärkeren, es ist auch ein Gnadenrecht, das ausgeübt werden kann, wenn es dem Machthaber gefällt. Das Recht muss aber unabhängig von politischen Machtverhältnissen Geltung haben, sonst wird es zum Instrument der Herrschenden und kann je nach Belieben eingesetzt werden."

"Frankfurter Rundschau"

Die "Frankfurter Rundschau" zeigte sich wenig überrascht von den Aussagen Putins:

"Die Aussagen sind eine typisch Putin'sche Wurftechnik. Er gibt sich als Mann, der über den Dingen steht. Einer, der sowohl die liberal-säkularen Russen versteht wie die Frommen, ein Mann des Ausgleichs. Einer, der nicht zu jenem ultra-rechtgläubigen Narrensaum gehört, der die Pussy-Riot-Gruppe am liebsten steinigen würde. In Wahrheit ist es nicht die Kirche, sondern der Kreml, der hinter dem absurden Prozess steht. Er hat die drakonische Bestrafung befördert. Ihr Gebet hieß 'Gottesmutter, vertreib Putin' - eben das wurde ihnen zum Verhängnis, nicht das Herumhopsen in einer Kirche. Davon wollte Putin in London ablenken."

DPA
jwi/DPA/AFP