In der siebten Woche schon rennt die größtenteils von der Landbevölkerung getragene Protestbewegung der "Rothemden" nun schon gegen die Regierung an, halten Demonstranten Teile der Bangkoker Innenstadt besetzt. Ein Ende ist nicht in Sicht - und offenbar auch niemand in der Lage, das Patt aufzulösen. Persönlichkeiten und Institutionen bis hin zum König, die früher als Vermittler wirkten, sind machtlos - oder sie schweigen.
Die Auseinandersetzungen haben mindestens 26 Menschen das Leben gekostet. Das Geschäftsleben leidet, die Tourismusbranche, das Vertrauen der Investoren. Nach nahezu einhelliger Auffassung wäre mit dem althergebrachten Mittel des Gebens und Nehmens am ehesten ein Ausweg aus der Krise zu finden. Doch drei Verhandlungsrunden haben bislang nichts gebracht. In der festgefahrenen Situation macht sich mancher schon öffentlich Sorgen, dass ein Bürgerkrieg drohen könnte. "Jeden Abend sitzt das Land auf einer Zeitbombe und wartet, dass das Chaos ausbricht", sagt Surichai Wun Gaeo, Politikwissenschaftler an der Bangkoker Chulalongkorn-Universität.
Die jüngsten Gespräche scheiterten am Samstag, als Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva die Forderung der "Rothemden" ablehnte, binnen 30 Tagen das Parlament aufzulösen. Damit waren die Demonstranten schon von ihrer ursprünglichen Forderung nach sofortiger Parlamentsauflösung und Neuwahlen abgerückt.
Die Oppositionsbewegung setzt sich vorwiegend aus Anhängern des gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra und Aktivisten für mehr Demokratie zusammen, die den Putsch gegen Thaksin 2006 verurteilten. Sie sprechen Abhisits Regierung die Legitimität ab, weil sie auf Druck des Militärs zustande kam, nachdem zwei Regierungen aus dem Thaksin-Lager per Gerichtsentscheid gekippt wurden.
Doch was die Demonstranten wirklich antreibt - und eine Aussöhnung so schwierig macht - sind nicht Gerichtsurteile und politisches Gerangel. Es ist vielmehr der tiefverwurzelte Ärger über die städtische Elite, die aus ihrer Sicht die arme Landbevölkerung als Bürger zweiter Klasse behandelt und nichts dafür tut, ihr aus der Armut herauszuhelfen.
Angesichts der "verstärkten Polarisierung" der Gesellschaft fällt es selbst Meistern der hohen Kunst des Kompromisses schwer, eine Lösung zu finden, wie der Politikwissenschaftler Surat Horachaikul glaubt. "Diesmal geht es auch um eine Veränderung des Systems", sagt er. "Noch nie zuvor war die Nation so gespalten." Nach Ansicht mancher Kritiker beweisen gerade frühere Kompromisslösungen, bei denen die Habenichtse von den Strippenziehern hinters Licht geführt worden seien, was an dem System nicht stimmt.
"Unterschiedliche Menschen betrachten die Vergangenheit unterschiedlich. Die thailändische Gesellschaft wird glauben gemacht, dass wir ein kompromissbereites Volk und das Land des Lächelns sind. Das stimmt nicht", sagt Siripan Nogsuan Sawasdee von der Chulalongkorn-Universität.
Unbeteiligte, die bei früheren Gelegenheiten das Land vor dem Chaos zu bewahren halfen, spielen in dieser Krise noch kaum eine Rolle. Jemand wie der frühere Regierungschef und angesehene Vermittler Anand Panyarachun - der Thailand "am Rand der Katastrophe" sieht -, steht aus Sicht der Demonstranten der Machtelite zu nahe. Der hochverehrte König Bhumibol liegt seit 19. September im Krankenhaus und schweigt. Vorige Woche wandte sich der frühere Ministerpräsident Chavalit Yongchaiyudh bittend an den König: Er sehe "keine andere Institution, die das beenden kann, außer der Monarchie". Der 82-jährige Bhumibol, der am längsten herrschende Monarch der Welt, war bei einem Studentenaufstand 1973 und noch einmal bei Demonstrationen gegen das Militär 1992 eingeschritten, um Blutvergießen zu verhindern. Beide Protestaktionen währten nur Tage.
Doch "möglicherweise haben seine gesundheitlichen Probleme ihn der Energie beraubt, persönlich eine Übereinkunft auszuarbeiten", vermutet Paul Handley, Autor einer Bhumibol-Biografie. Der König habe nach der Verfassung das Recht, das Parlament aufzulösen, habe das aber noch nie ohne die Zustimmung der amtierenden Regierung getan. Daher sei es immer noch Sache der Regierung, mit der Opposition zu einer Einigung zu kommen.
"Damit der König oder der Hof einschreitet, müssen sie erst einen Kompromiss ausgearbeitet haben, von dem sie wissen, dass er die Lage entschärfen kann. Wenn der König öffentlich etwas unternimmt und es funktioniert nicht, wird jeder ihn für schwach halten", erklärt Handley. Für ihn und andere Beobachter ist es aber immer noch nicht zu spät für eine friedliche Lösung, da beide Seiten für eine Parlamentsauflösung sind und nur noch über den Zeitpunkt streiten.
Auch frühere Krisen wurden durch Neuwahlen entschärft. Derzeit befürchtet die Regierung allerdings, dass eine Abstimmung die Thaksin-Anhänger an die Macht bringen würde. Das wiederum könnte zu neuen, möglicherweise gewaltsamen Unruhen führen, wenn Thaksins Gegner wieder auf die Straße gingen. Diese "Gelbhemden" hatten schon vor dem Putsch 2006 Massendemonstrationen veranstaltet und später unter anderem mit einer wochenlangen Flughafenblockade für den Sturz der Regierungen aus dem Thaksin-Lager demonstriert.
Manche hoffen noch auf weitere Verhandlungen. Doch viele halten es im Moment mit einem Kommentar der "Bangkok Post", die kürzlich mahnte, im derzeitigen Patt könne keine Seite ohne große Verluste siegen: "Beide Seiten müssen ein Zugeständnis machen, und zwar bald, oder das vielfach gefürchtete Gespenst eines Bürgerkrieges wird Wirklichkeit."