Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kurz vor der Londoner Afghanistan-Konferenz eine gemischte Bilanz des Einsatzes am Hindukusch gezogen. "Es gab manche Fortschritte und zu viele Rückschläge", sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung am Mittwoch im Bundestag. Sie betonte: "Die internationale Staatengemeinschaft hat das Ziel ihres Einsatzes noch nicht erreicht. Und deshalb müssen wir handeln."
Die Kanzlerin weigerte sich ausdrücklich, ein endgültiges Abzugsdatum zu nennen. "Das hielte ich für kontraproduktiv und falsch", so Merkel. Wer wolle, dass der Einsatz in absehbarer Zeit erfolgreich abgeschlossen werden kann, dürfe dem Drängen auf ein Abzugsdatum nicht nachgeben, erklärte sie. Alles andere würde den Taliban in die Hände spielen.
Merkel räumt "kriegsähnliche Zustände" ein
Merkel betonte, dass ein einseitiger Rückzug der deutschen Soldaten für sie nicht infrage komme. "In meiner Regierungsverantwortung wird es einen deutschen Alleingang niemals geben", erklärte sie mit Nachdruck. Ein solcher Rückzug wäre "ein Beispiel von Verantwortungslosigkeit".
Die Kanzlerin verwies auf die Bedeutung der Londoner Afghanistan-Konferenz, die an diesem Donnerstag beginnt. Die künftige Strategie entscheide letztlich über Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes am Hindukusch. "Der Einsatz dauert länger und ist schwieriger als wir zu beginn der Mission vor acht Jahren gedacht haben", so die Kanzlerin. Deshalb gehe es in London "um nichts weniger als um eine Weichenstellung". Ziel sei es, die Verantwortung für das Land Schritt für Schritt in die Hände der Afghanen zu übergeben und die "kriegsähnlichen Zustände" zu beenden. Merkel äußerte die Hoffnung, dass im ersten Halbjahr 2011 erste Distrikte im Norden Afghanistans, wo Deutschland die Verantwortung trägt, an die afghanischen Behörden übergeben werden können. "Im zweiten Halbjahr könnte dann gegebenenfalls der Gesamtumfang unserer Truppen reduziert werden", sagte Merkel weiter.
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Merkel stellte im Bundestag noch einmal die Maßnahmen vor, mit denen die Bundesregierung ihre Ziele erreichen will. Diese hatte sie bereits am Dienstag ausführlich erläutert. So will Deutschland künftig die Ausbildung der afghanischen Armee stärker in den Blick nehmen. Die deutschen Soldaten sollen mit ihren afghanischen Kameraden für den Schutz der Bevölkerung im Norden des Landes sorgen. "Diese Aufgabe wird künftig im Zentrum unseres Engagements stehen." Dazu wird Deutschland 500 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan schicken. Weitere 350 Mann sind als "flexible Reserve" gedacht, um auf besondere Situationen reagieren zu können. Darüber hinaus soll die Zahl der Polizeiausbilder von 123 auf 200 aufgestockt werden.
Darüber hinaus soll die deutsche Aufbauhilfe für Afghanistan etwa verdoppelt werden - auf 430 Millionen Euro pro Jahr. Zudem will Deutschland 50 Millionen Euro in einen Fonds zahlen, der sich um die Reintegration von Taliban-Aussteigern in die afghanische Gesellschaft kümmert.
Gabriel drängt auf feste Abzugstermine
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte im Bundestag einen realistischen Fahrplan für den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan. Die Zustimmung seiner Partei zu einem neuen Mandat hänge vor allem davon ab, ob das Jahr 2011 als Datum für den Beginn des Abzugs festgeschrieben werde, sagte Gabriel im Anschluss an Merkels Rede im Bundestag.
Darüber hinaus forderte er, dass der bewaffnete Einsatz zwischen 2013 und 2015 zu Ende gehen müsse und dass eine Truppenaufstockung zeitlich begrenzt bleibe. Gleichzeitig zog Gabriel in Zweifel, ob die geplante Vergrößerung des Kontingents um 850 Soldaten tatsächlich notwendig sei.
Die Linkspartei bekräftigte ihre uneingeschränkte Ablehnung des Einsatzes. Ihr Fraktionschef Gregor Gysi betonte, für ihn herrsche in Afghanistan Krieg. "Wenn Sie ernsthaft glauben, mit Krieg Terrorismus bekämpfen zu können, müssten Sie in aller Welt Krieg führen", sagte er und forderte den "Abzug der Bundeswehr - ohne Bedingungen, vollständig und sofort".