Jegliche Form des Ungehorsams ist den russischen Behörden ein Dorn im Auge. Seit den landesweiten Massenprotesten gegen mutmaßliche Wahlfälschungen bei den Parlamentswahlen vom 4. Dezember 2011 geht die Regierung massiv gegen Aktivisten, Demonstranten und vermeintliche Störenfriede aller Art vor. Mehrere Gesetzte wurden verschärft, Geldstrafen erhöht und der Artikel 212.1 eingeführt. Dieser sieht bei wiederholten Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und dem Abhalten von Einzelprotesten eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vor.
Wegen diesem Tatbestand wurde bislang nur ein Mann in Russland verurteilt: Ildar Dadin. Aber die Behörden haben jede Menge andere Passagen des Strafgesetzbuches, die sie zu Begründung von Festnahmen nutzen. Besonders beliebt ist "Ungehorsam gegenüber der Polizei", die "Organisation von Zusammengekauften an öffentlichen Plätzen" oder der "Vertrieb von extremistischen Materialien". Wie weit der Wortlaut dieser Paragraphen von der Polizei ausgelegt wird, zeigen die Geschichten der Menschen, die die russische Journalistin Elena Gorschenina getroffen hat. Die Menschenrechtsorganisation OVD-Info unterstützte sie bei den Recherchen. Ihre Fotoreportage berichtet von der polizeilichen Willkür, die praktisch jeden auf den Straßen Moskaus oder Sankt Petersbergs treffen kann - ob schuldig oder nicht.
So wurde Ilya Mishchenko dafür verhaftet, dass er unsichtbare Plakate hochgehalten hat. Alexej Minjailo musste sich wegen der Sprengung einer Polizeikette verantworten, die es nie gegeben hat. Und Elena Mazowetskaja musste mehr als drei Tage auf einer Polizeistation verbringen, nachdem sie einer Lesung eines Werks von Adam Smith beigewohnt hatte.
Strategie der Nadelstiche
In den meisten Fällen kommen die Beschuldigten mit Geldstrafen davon. Doch für den Durchschnittsbürger fallen sie schon mal sehr schmerzlich aus. Alexander Lebedew musste beispielsweise 20.000 Rubel Strafe dafür zahlen, dass er eine Festnahme gefilmt hatte. In Russland ist das ein durchschnittlicher Monatslohn.
Es ist eine Strategie der Nadelstiche, die die russischen Behörden gegen die Bevölkerung einsetzen. Immer wieder und überall. Und sie ist wirkungsvoll. Auch diejenigen, die sich nur per Zufall in der Nähe von Demonstrationen aufhalten, laufen Gefahr, die Nacht in einer Polizeizelle zu verbringen. Und wer will das schon? Zu Hause warten schließlich Familie und Kinder. Auf der Arbeit wird einen auch niemand entschuldigen. Und das Geld für die Strafen schüttelt niemand gerne aus der Tasche.
Also hält man sich in Russland am liebsten von allem fern. Das Ergebnis: Während bei den Protesten nach den Parlamentswahlen 2011 hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen sind, waren es im Vorfeld der Wahl in diesem Jahr nur wenige Tausend.
Die beliebteste Form des Protests wird in diesem Jahr wohl der Boykott der Wahl sein. Mehrere Parteien riefen die Bürger dazu auf. Das ist vor allem eins: anonym. Also sicher.
Mit Material von Human Rights media project OVD-Info
Mehr zu den Protesten im Vorfeld der diesjährigen Wahl lesen Sie hier: