Sozialdemokraten bibbern "Die Stimmen haben sich von links nach rechts verschoben": Wie Spaniens Ministerpräsident Sanchez um sein Amt kämpft

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez
Bei der Parlamentswahl in Spanien am Sonntag möchte Ministerpräsident Sánchez wiedergewählt werden. 
© Carlos Castro / DPA
Die sozialdemokratische Partei Spaniens hat an Zustimmung verloren, unter anderem wegen umstrittener Gesetzesvorschläge. Nun könnte sie von der konservativen Volkspartei abgelöst werden. Spaniens Ministerpräsident will das verhindern.

Bei der vorgezogenen Parlamentswahl am Sonntag muss der spanische Regierungschef Pedro Sánchez um sein Amt fürchten. In Umfragen liegt seine sozialdemokratische Partei PSOE deutlich hinter der größten Oppositionspartei, der konservativen Volkspartei (PP). Im Endspurt des Wahlkampfs versucht Sánchez derzeit, die Wähler zurückzugewinnen, welche die Politik seines Linksbündnisses verprellt hat.

Die Sozialdemokraten regieren seit Januar 2020 in einer Minderheitskoalition mit der Linkspartei Podemos, die aus der Protestbewegung gegen die Sparpolitik hervorgegangen war. Es ist die erste Koalitionsregierung in Spanien seit der Rückkehr zur Demokratie in den 1970er Jahren, und zwischen den Bündnispartnern krachte es heftig. Viele Anhänger der Sozialdemokraten schreckt der progressive Kurs der Koalition ab.

Umstrittene Gesetze schrecken viele Wähler in Spanien ab

"Es hat eine Verlagerung der Stimmen von der Linken zur Rechten stattgefunden", sagt María Martín vom privaten Meinungsforschungsinstitut GAD3. Etwa zehn Prozent der Wähler, die bei der Parlamentswahl im November 2019 für Sánchez gestimmt hätten, wollten nun die Konservativen wählen.

Das wären etwa 700.000 Stimmen, die Sánchez am Sonntag verlieren könnte. Schon bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai erlitten die Sozialdemokraten eine deutliche Niederlage. Daraufhin zog Sánchez die eigentlich erst für das Jahresende geplante Parlamentswahl auf den Sommer vor.

Vor allem die Reform des Sexualstrafrechts, eigentlich ein Vorzeigeprojekt der Regierung, kostet die Sozialdemokraten den Meinungsforschern zufolge Stimmen. Das neue "Nur Ja heißt Ja"-Gesetz sollte Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen und jede Vergewaltigung hart bestrafen. Doch in der Praxis führte die Reform durch einen Fehler in dem Gesetz dazu, dass bereits verhängte Strafen für über tausend Täter reduziert wurden, etwa hundert kamen vorzeitig frei.

Sánchez musste sich entschuldigen und die Regierung das "Nur Ja heißt Ja"-Gesetz ändern – ein gefundenes Fressen für die Opposition. "Das wird Sie für immer verfolgen", sagte der PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijoo bei der Fernsehdebatte mit Sánchez am Montag. Die rechtsextreme Partei Vox hängte im Zentrum von Madrid ein riesiges Plakat auf, das einen mit Kapuze vermummten Mann zeigt, der einer Frau den Mund zuhält. "Sánchez hat hunderte dieser Monster auf die Straße gebracht", steht in Großbuchstaben darüber.

Uneinigkeit innerhalb der Koalition

Strittig ist auch das von Podemos initiierte und im Februar verabschiedete Gesetz, das es allen ab 16 Jahren ermöglicht, ihr Geschlecht im Personalausweis mit einer einfachen Erklärung zu ändern. Die Sozialdemokraten hatten die Gesetzesvorlage monatelang blockiert und vergeblich versucht, sie zu ändern.

Ein Teil des feministischen Lagers – darunter die ehemalige stellvertretende sozialdemokratische Ministerpräsidentin Carmen Calvo – kritisierte das Gesetz mit der Begründung, dass es den jahrzehntelangen Kampf um die Gleichstellung der Geschlechter gefährde. So mancher PSOE-Wähler teile diese Ansicht, sagt Meinungsforscherin Martín. Sie fühlten sich unwohl mit den "sehr ideologischen Positionen", die Podemos in gesellschaftlichen Fragen vertrete.

Auch der Aufruf von Podemos zum Fleischverzicht zum Wohle des Planeten habe der Unterstützung der Sozialdemokraten auf dem Land geschadet, sagt Martín. Sánchez ging auf Distanz dazu: "Ein auf den Punkt gebratenes Steak ist für mich unschlagbar", verkündete er.

Selbstkritik soll gemäßigte Wähler abholen

Der Regierungschef sei sich der Unzufriedenheit der gemäßigten Wähler bewusst und versuche, das "ziemlich große" Segment der potenziellen PSOE-Wählerschaft, das der politischen Mitte nahe stehe, zu mobilisieren, sagt José Pablo Ferrándiz vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos. 

In Interviews räumte Sánchez Fehler seiner Regierung ein. "Verschiedenen Umfragen zufolge fühlen sich Männer, aber auch Frauen, bei bestimmten feministischen Debatten unwohl", sagte er und erzählte von Freunden, denen es genauso gehe.

Beobachter halten die Kritik an der eigenen Regierungsarbeit für keine erfolgversprechende Strategie. "Ein Ministerpräsident, der jahrelang regiert hat, und mitten im Wahlkampf die Maßnahmen der Exekutive in Frage stellt, sendet eine verwirrende Botschaft an seine Wähler", analysiert Martín.

AFP
nim / Mathieu Gorse