Vier Tage nach dem Bruch der belgischen Regierungskoalition hat König Albert II. nun doch den Rücktritt von Ministerpräsident Yves Leterme angenommen. Die Regierung solle die Amtsgeschäfte aber zunächst kommissarisch weiterführen, teilte der königliche Palast am Montagabend in Brüssel mit. Damit verschärfte sich zwei Monate vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Belgien die politische Krise in dem Land.
Leterme bedauerte, dass die Gespräche über eine Lösung des Sprachenstreits zwischen flämischen und frankophonen Belgiern nicht zu dem "erwünschten Ergebnis" geführt hätten. Er warte nun auf die "Initiativen" des Königs. Der Verfassung gemäß könnte das Staatsoberhaupt einen Politiker mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Die Alternative sind vorgezogene Neuwahlen innerhalb von 40 Tagen; sie könnten also Anfang Juni stattfinden.
Am Donnerstag hatten die flämischen Liberalen (Open VLD) den Austritt aus der Regierung des flämischen Christdemokraten Leterme erklärt. Die Open VLD pocht auf eine schnelle Entscheidung zur Zukunft des Wahl- und Gerichtsbezirkes Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV). Es geht vor allem um die Minderheitenrechte französischsprachiger Belgier, die im flämischen Umland der Hauptstadt leben.
Leterme hatte König Albert II. nach dem Koalitionsbruch seinen Rücktritt angeboten, den dieser aber zunächst nicht annahm. Der Aufschub wurde auch damit begründet, dass eine politische Krise "schweren Schaden für Belgiens Rolle auf der europäischen Ebene" anrichten könnte. Belgien übernimmt am 1. Juli von Spanien den rotierenden EU-Ratsvorsitz.
Der Bezirk BHV steht seit Jahren im Zentrum des Streits zwischen französischsprachigen Belgiern einerseits und niederländischsprachigen Belgiern andererseits. Brüssel ist zwar offiziell zweisprachig, de facto aber vor allem frankophon. Die Hauptstadt bildet neben der Wallonie und Flandern eine eigenständige Einheit. Andererseits bildet sie bei Wahlen und in Rechtsangelegenheiten mit dem flämischen Umland einen Bezirk.
Nachdem immer mehr Frankophone in die flämischen Vororte zogen, fürchtet ein Teil der Flamen um deren flämischen Charakter. Sie wollen daher den Bezirk zwischen Brüssel und Flandern teilen und die Minderheitenrechte der rund 130.000 Frankophonen, zum Beispiel auf Gebrauch von Französisch bei Gericht, beschneiden. Vergangene Woche hatte der königliche Vermittler Jean-Luc Dehaene neue Vorschläge vorgelegt, die bei den Frankophonen auf starke Vorbehalte stießen. Die Verhandlungen der letzten Tage brachten nun offenbar keinen Durchbruch.