Als das saudische Fernsehen am Samstagmorgen sein Programm unterbrach, das Bild von der Großen Moschee in Mekka erschien und Koran-Verse erklangen, war jedem Bürger im Königreich klar: ein Todesfall in höchsten Kreisen hat sich ereignet. "In tiefer Trauer und Schmerz geben wir bekannt, dass unserer Bruder und im Glauben fester Kronprinz Sultan bin Abdulasis bin Saud (...) im Morgengrauen des Samstag (...) nach einem Leiden im Ausland verstorben ist", verlas auch wenig später ein junger Moderator König Abdullahs schmerzliche Botschaft an das Volk.
Der Tod von Kronprinz Sultan kam nicht völlig überraschend. Der 83-Jährige war schon lange leidend, verbrachte viele Monate in amerikanischen Krankenhäusern zur Behandlung und im marokkanischen Palais zur Genesung. Ein amerikanischer Botschaftsbericht, der über Wikileaks publik wurde, hatte ihn schon vor zwei Jahren als "arbeitsunfähig" bezeichnet. Im saudischen royalen Establishment hinterlässt er dennoch eine gewaltige Lücke. Er war nicht nur als Nachfolger seines gleichfalls kränkelnden, 87-jährigen Halbbruders vorgesehen, sondern stand auch über 40 Jahre an der Spitze des saudischen Verteidigungsministeriums.
In dieser Funktion galt er gleichsam als Schöpfer der modernen saudischen Armee. Aus den Erlösen des enormen Ölreichtums kaufte er Waffen im Wert von hunderten Milliarden Dollar an - die schnellsten Kampfflugzeuge, die besten Raketen, die effizientesten Abwehranlagen. Die gigantischen Rüstungsgeschäfte machten ihn zum geschätzten Partner des Westens. "Der Kronprinz war ein starker Führer und über viele Jahre ein guter Freund der USA", erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton. "Er wird uns fehlen."
Stockkonservativer Nachfolger
Aber auch die Befürworter von Reformen in Saudi-Arabien erfassen Ängste. Denn infolge der höchst komplizierten Festlegung der Thronfolge könnte Sultans ungleicher Bruder, Prinz Naif, als nächster zum Zug kommen. Der seit gleichfalls Jahrzehnten über das Innenministerium gebietende Ibn-Saud-Sohn ist als stockkonservativ verrufen. Er sträubt sich selbst gegen die bescheidensten Versuche, die beschämende Stellung der Frauen in dem islamischen Königreich zu verbessern.
In Riad nehmen es viele Beobachter als sehr wahrscheinlich an, dass nun Naif in die Position des Thronfolgers nachrücken wird. Sicher ist das allerdings noch nicht. Entscheiden soll nämlich der Familienrat, ein neues Gremium, das Abdullah 2006 einsetzte und das aus den noch lebenden Söhnen und einigen Enkeln des Staatsgründers Ibn Saud besteht. Dieser Rat, dem König Abdullah nun einen neuen Kronprinzen vorschlagen muss, wird demnächst erstmals zusammentreten.
Dynastisches Prinzip in der Altersfalle
In Saudi-Arabien ist es in der Generation nach Ibn Saud zum Usus geworden, dass die Königswürde nicht vom Vater auf den ältesten Sohn übergeht, sondern von (Halb-)Bruder zu (Halb-)Bruder wandert. Das Problem: die Angehörigen der Generation der Söhne Ibn Sauds sind alle jenseits der 75 und häufig nicht mehr so gesund. Die Chancen, dass nun ein jüngerer Prinz aus der "Enkelgeneration" Kronprinz wird - etwa der Modernisierungsfreund und enge West-Verbündete Prinz Turki bin Faisal -, sind aber nach Einschätzung von Beobachtern vor Ort sehr gering.
Die Stürme des Arabischen Frühlings konnte König Abdullah mit enormen Sozialgeschenken - und Waffenhilfe an das frühlingswindgebeutelte Bahrain - in ungefährliche Brisen abmildern. In der Ostprovinz demonstrierten ein paar Hundert unzufriedene Minderheiten-Schiiten. In den Städten widersetzten sich ein paar Dutzend Frauen dem absurden Fahrverbot für das weibliche Geschlecht, indem sie sich in einer Facebook-initiierten Partisanenaktion illegal hinters Steuer klemmten. Polizeistöcke, Haftstrafen, Drohungen und - im Falle einer autofahrenden Frau - eine Verurteilung zu Peitschenhieben bewahrten die gewohnte Ordnung.
An dieser will König Abdullah ganz behutsam Änderungen vornehmen. So versprach er unlängst das Frauenwahlrecht, bisher ein Tabu. Erstmals zur Geltung kommen könnte es aber erst bei den Kommunalwahlen im Jahr 2015. Doch bis es so weit ist, könnte bereits Naif auf dem Thron sitzen. Von ihm ist auch dieser Satz überliefert: "Ein Mann, der seine Tochter oder seine Ehefrau bei einem anderen Mann als Sekretärin arbeiten lässt, ist kein echter Mann." Seine Bestellung zum Kronprinzen im Jahr des Arabischen Frühlings wäre eine markante Entscheidung gegen den regionalen Trend.