Krieg in der Ukraine "Brutale Verhöre": Russland verschleppt laut US-Angaben tausende Ukrainer in Filtrationslager

Russische Soldaten patrouillieren in der Stadt Wolnowacha im Gebiet Donezk im Osten der Ukraine
Russische Soldaten patrouillieren in der Stadt Wolnowacha im Gebiet Donezk im Osten der Ukraine.
© Alexander Nemenov / AFP
Neue schwere Vorwürfe gegen die russische Armee im Ukraine-Krieg: Nach US-Informationen deportieren die Kreml-Truppen tausende Menschen in spezielle Lager und unterziehen sie dort "brutalen Verhören".

Die russischen Streitkräfte sollen seit Beginn ihrer Invasion in der Ukraine tausende Menschen in sogenannte Filtrationslager geschickt haben. "Mindestens mehrere tausend" Ukrainer seien verschleppt und in derartigen Lagern interniert worden, sagte Michael Carpenter, US-Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), am Donnerstag vor dem Ständigen Rat der Organisation in Wien. "Russlands Soldaten verlegen gewaltsam Zivilisten, deren Häuser, Städte und Dörfer monatelang gnadenlos mit Granaten, Raketen und Bomben bombardiert wurden, nach Russland – genau das Land, das all das unnötige Leid verursacht."

Die Filtrationslager würden von russischen Truppen genutzt, um ukrainische Zivilisten auf Verbindungen zur Regierung oder zum Militär und auf Anzeichen von Widerstand gegen den Angriffskrieg von Präsident Wladimir Putin zu überprüfen. Dabei würden die Gefangenen aus verschiedenen Blickwinkeln fotografiert, auf Tätowierungen untersucht und verhört. Man nehme ihnen ihre Handys weg, zwinge sie Passwörter herauszugeben, überprüfe Chats und soziale Medien und speichere ihre Kontakte und Daten, ihre biografischen Informationen und ihre Fingerabdrücke. In einigen Fällen hätten russische Soldaten auch Pässe und Ausweisdokumente beschlagnahmt.

"Zahlreiche Augenzeugenberichte weisen darauf hin, dass das 'Herausfiltern' das Schlagen und Foltern von Personen beinhaltet um festzustellen, ob sie dem ukrainischen Staat auch nur die geringste Treue schulden", sagte Carpenter. "Diesen Berichten zufolge werden diejenigen, denen eine solche Gefolgschaft zugeschrieben wird, in die sogenannte 'Volksrepublik Donezk' überstellt, wo ihnen ein dunkles Schicksal bevorsteht."

"Wenn eine Person verdächtigt wurde, ein 'ukrainischer Nazi' zu sein, brachten sie sie zur weiteren Untersuchung oder Ermordung nach Donezk. ... Alle hatten Angst, nach Donezk gebracht zu werden", zitierte der US-Botschafter einen Überlebenden. Eine andere Überlebende habe von einem Gespräch zweier russischer Soldaten erzählt, das sie mitgehört habe, als sie und ihre Familie außerhalb von Mariupol "filtriert" worden seien. "Was haben Sie mit Leuten gemacht, die die Filtration nicht bestanden haben?", fragte demnach ein Soldat. Die Antwort: "Zehn erschossen und aufgehört zu zählen." Unabhängig überprüfen lassen sich die Vorwürfe bislang nicht.

Zehntausende laut USA aus der Ukraine nach Russland deportiert

Insgesamt soll Russland nach Schätzungen der USA zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer gewaltsam verschleppt haben. Allein aus der belagerten Hafenstadt Mariupol seien Tausende nach Russland oder in russisch kontrolliertes Gebiet gebracht worden, erklärte Carpenter. Die ukrainische Regierung geht sogar von knapp 1,2 Millionen Deportierten aus. Darunter sollen sich nach Angaben der Ombudsfrau Lyudmyla Denisowa auch mindestens 200.000 Kinder befinden.

Opfer dieser Verschleppungen berichteten Carpenter zufolge, sie hätten auf ihrem Weg verschiedene "Filtrations"-Punkte in der von Russland kontrollierten Ostukraine passiert und schließlich die Grenze nach Russland selbst. In Mariupol hätten russische Soldaten Zivilisten aus Unterkünften vertrieben und sie gezwungen in Busse zu steigen, die sie in in Lager gebracht hätten. Diese seien entweder provisorische Sammelstellen aus Militärzelten gewesen oder in zivilen Einrichtungen wie Schulen oder Sportzentren untergebracht. Kommerzielle Satellitenbilder zeigen nach Aussage des US-Botschafters derartige Lager an verschiedenen Orten im Südosten der Ukraine.

Die Filtrationen und die Zwangsverschleppungen kämen Kriegsverbrechen gleich, sagte Carpenter. Der Kreml behandle das Völkerrecht mit absoluter Verachtung. "Wir dürfen dieses Übel nicht zulassen". Der UN-Menschenrechtsrat hatte am Donnerstag mit überwältigender Mehrheit für eine Untersuchung mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine gestimmt.

Kiew wirft der russischen Armee vor, seit ihrem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar in zahlreichen Orten Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die Sender CNN und BBC veröffentlichten am Donnerstag Aufnahmen eines solchen möglichen Verbrechens von Mitte März. Auf den Aufnahmen einer Überwachungskamera war zu sehen, wie russische Soldaten offenbar zwei unbewaffnete Zivilisten in der Nähe eines Autohauses außerhalb von Kiew in den Rücken schießen. Einer der Männer starb noch vor Ort, der andere kurz darauf.