Während in Peking noch die Olympischen Winterspiele stattfanden, plante Russlands Präsident Wladimir Putin bereits seinen Krieg. Je mehr Truppen Mitte Februar an der ukrainischen Grenze zusammengezogen wurden, desto größer wurde im Westen die Sorge vor einer Eskalation – berechtigt, wie wir heute wissen.
Dennoch waren sich viele Beobachter einig, Putin würde es nicht wagen, die Ukraine während der Spiele anzugreifen. Er würde nicht das Risiko eingehen, Chinas Präsidenten Xi Jinping – seinen "guten Freund" – zu brüskieren und ihm die Weltöffentlichkeit zu stehlen.
Nun bestätigt ein westlicher Geheimdienstbericht die Spekulationen über den Zeitpunkt der Invasion. Demnach sollen hochrangige chinesische Behörden bereits Anfang Februar russische Regierungsvertreter gebeten haben, erst nach dem Ende der Winterspiele in die Ukraine einzumarschieren. Der Bericht führt aus, dass hochrangige chinesische Regierungsvertreter in einem gewissen Umfang direkt über Russlands Kriegspläne oder -absichten informiert gewesen seien. Darüber berichtete zunächst die "New York Times" und berief sich auf Vertreter der US-Regierung sowie auf eine europäische Geheimdienstquelle. Eine weitere mit der Angelegenheit vertraute Quelle bestätigte die Bitte Chinas gegenüber der Nachrichtenagentur "Reuters".
Unklar, ob Putin und Xi persönlich über Angriff geredet haben
Die Olympischen Spiele waren von vielen Staaten politisch boykottiert worden. Im Gegensatz dazu hatte Putin, als einer der wenigen Politiker, die Eröffnungsfeier in Peking besucht und später am Tisch des chinesischen Präsidenten Platz genommen. Noch kurz zuvor hatten Putin und Xi in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre "grenzenlose" Partnerschaft betont und gleichzeitig eine Nato-Erweiterung kritisiert. Die beiden Machthaber erklärten, sie wollten eine neue Weltordnung mit "echter Demokratie" schaffen – Worte, die zwei Wochen später mehr als zynisch klingen.
Auf die Frage, ob der Austausch über den Angriff auf die Ukraine auch auf höchster Ebene stattgefunden hat, gibt es bislang keine gesicherte Antwort. Dass Putin und Xi persönlich darüber gesprochen haben, kann weder von den Quellen der US-Zeitung noch von der Nachrichtenagentur bestätigt werden.
Auch die China-Expertin Bonny Lin, die am Washingtoner Think Tank Center for Strategic and International Studies tätig ist, spricht von einer unklaren Informationslage. "Angesichts der Beweise, die wir bisher haben, denke ich, dass wir keine der beiden Möglichkeiten definitiv ausschließen können – dass Xi es nicht wusste (was schlecht ist) und dass Xi es vielleicht gewusst hat (was auch schlecht ist)", sagte sie. Dennoch deute beispielsweise die schleppende Evakuierung von chinesischen Bürgerinnen und Bürgern aus der Ukraine darauf hin, dass China nicht vollständig vorbereitet gewesen sei.
Die Regierung in Peking reagierte mit scharfer Kritik auf den Bericht und warf dem Westen Verleumdung vor. "Die in den relevanten Berichten erwähnten Behauptungen sind Spekulationen ohne jede Grundlage und sollen China die Schuld zuschieben und verleumden", sagte Liu Pengyu, ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington.
Ob abgesprochen oder nicht, Putin ist der Bitte seines Verbündeten nachgekommen. Die russischen Athletinnen und Athleten waren gerade in die Heimat zurückgekehrt, da wurde die "Unabhängigkeit" der Separatistengebiete im ukrainischen Donbass verkündet. Am 20. Februar endeten die Spiele, am 24. Februar überschritten russische Truppen die Grenze zur Ukraine.
Ukraine-Krieg: China im Dilemma
Seit dem ersten Tag der russischen Invasion sitzt China zwischen den Stühlen. Von einem Krieg in der Ukraine ist in den chinesischen Staatsmedien in diesen Tagen fast nichts zu lesen. Stattdessen ist von einer "speziellen Militäroperation" die Rede, eine Begrifflichkeit, die die chinesische Führung von Moskau übernimmt. Gleichzeitig unterstützt Peking Putins Klagen über ein Vorrücken der Nato und kritisiert die Sanktionen des Westens.
Doch je länger der Krieg dauert, desto tiefer rutscht China ins Dilemma.
Einerseits will man den Schulterschluss mit Russland gegen den Rivalen USA wahren, andererseits kann Peking die Kämpfe in der Ukraine schwerlich gutheißen und bekommt auch selbst die wirtschaftlichen Folgen zu spüren. Zudem befinden sich immer noch Tausende chinesische Studierende in der Ukraine, die versuchen, das Land zu verlassen – bislang wurde dabei mindestens ein chinesischer Staatsbürger verletzt.
Anstatt die Invasion zu verurteilen – im UN-Sicherheitsrat enthielt sich die mächtige Volksrepublik ihrer Stimme – rief die chinesische Regierung daher beide Seiten zu einer diplomatischen Lösung des Konfliktes auf.
Auch die Ukraine hofft inzwischen auf eine Vermittlung Chinas, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Wie das Pekinger Außenministerium mitteilte, hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag in einem Telefonat mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi von einer "konstruktiven Rolle" Chinas gesprochen. Die Ukraine wolle die Kommunikation mit Peking verstärken und "sieht der Vermittlung Chinas zur Verwirklichung einer Feuerpause entgegen", hieß es weiter.