Der Sicherheitsexperte Christian Mölling hat Deutschland und den Westen aufgefordert, massiv aufzurüsten, um Russland von einem möglichen Angriff auf Nato-Staaten abzuhalten. Mölling sprach am Dienstag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage" von einem "stark steigenden militärischen Risiko für Nato-Europa". Nach Einschätzung des Forschungsdirektors der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik könnte Russland nach einem Abflauen der Kämpfe in der Ukraine innerhalb weniger Jahre eine Militärmacht aufbauen, die für die Nato bedrohlich sei.
"In dem Augenblick, in dem der russische Angriffskrieg quasi als Verbraucher des Materials wegfällt, das die Russen gerade herstellen, können die das in was anderes investieren", sagte Mölling. Er verwies auf Erfolge Russlands bei der Rüstungsproduktion, die über den Ukraine-Konflikt hinaus hoch gehalten werden könne: "Dann zahlt sich aus russischer Sicht aus, dass man jetzt in diese Kriegswirtschaft investiert." Der russische Präsident Wladimir Putin habe "bislang recht mit der Annahme, dass er den Westen und die Ukraine quasi rüstungstechnisch überholen kann".
Mölling: Ukraine könnte zu Waffenstillstand gedrängt werden
Der Sicherheitsexperte unterstellte, dass die Ukraine möglicherweise bereits Anfang kommenden Jahres zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand gedrängt werden könne. Ab dann laufe gewissermaßen die Zeit. "Die Realität ist dann schon atemberaubend", sagte er. "Wir sind noch im Friedensbetrieb, Russland ist es nicht."
Möllings Sorge gilt nicht einem breit angelegten Angriff Russlands auf Europa, sondern begrenzten Aktionen etwa gegen die baltischen Staaten. Es könne etwa einen Teil des Baltikums besetzen und dann einen Gebietstausch vorschlagen. Aufgabe der Nato sei es deshalb, Russland deutlich zu machen, dass sie einen konventionellen Krieg gewinnen könne – so ließe sich die Gefahr minimieren, dass es tatsächlich zu einer Auseinandersetzung komme. Er plädierte dafür, "nicht in einem Kriegsszenario zu denken, sondern in einem Abschreckungsszenario". Dabei müsse die deutlich gestiegene Risikobereitschaft Russlands berücksichtigt werden. Die bisherigen Anstrengungen des Westens reichten bei weitem nicht aus.

Zu den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius auf der Bundeswehrtagung vorgestellt hat, sagte er, sie seien "von der Sprache her schön. Aber man sieht noch nicht, dass der Maschinenraum raucht und glüht". Nötig sei eine "sicherheitspolitische Dekade": "Das Bewusstsein für das Risiko und auch für die Möglichkeit, dass wir etwas tun können, um dieses Risiko zu beeinflussen, muss Teil des Alltags werden."