Ukraine-Krieg Friendly Fire zum Urnengang: Wie russische Exilkämpfer Putins Wahlscharade stören

Angriff auf Region Belgorod: Die Legion "Freiheit Russlands" übernimmt die Verantwortung für die Diversion
Angriff auf Region Belgorod: Das sogenannte Russischen Freiwilligenkorps und die Legion "Freiheit Russlands" übernahmen die Verantwortung für die Diversion
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Am Wochenende lässt sich Wladimir Putin per Scheinwahl für eine weitere Amtszeit bestätigen. Doch die Ukraine gibt sich alle Mühe, um dem Kremlchef die Laune zu verderben – entscheidende Stimmungskiller sind russische Kämpfer, die die Seiten gewechselt haben.

Ab Freitag spielt Russland wieder Demokratie. Mangels echter und dank ausgesuchter Konkurrenz steht bereits fest, dass Wladimir Putin Kremlchef bleibt. Trotzdem gilt der Ausgang des Wahlschwindels als wichtiger Stimmungstest im größten Land der Welt. Schließlich soll die seit Invasionsbeginn in der Ukraine im Dauerbetrieb laufende Propagandamaschinerie das makellose Bild eines geeinten Russlands garantieren. 

Und was könnte diese "Spezialoperationen-Freude-Eierkuchen"-Illusion effektiver stören als Russen, die auf der Seite des Feindes kämpfen?

Russische Exilanten kämpfen gegen Putin

Auf die zuletzt düsteren Meldungen, wonach russische Truppen weit in ukrainisches Territorium vorgedrungen sind, haben die Verteidiger nun mit einem Gegenschlag reagiert. Anfang der Woche starteten die Ukrainer eine Welle massiver Drohnenangriffe, die teils weit über die Landesgrenzen hinausreichten und vor allem Treibstofflager ins Visier nehmen.

Weitaus prestigeträchtiger waren allerdings Vorstöße nur wenige Stunden später auf Dörfer rund um die russischen Grenzstädte Belgorod und Kursk. Denn hier sollen sich die Russen nicht mit unbemannten Angriffen aus der Luft, sondern mit ihresgleichen konfrontiert gesehen haben. Wie unter anderem das kremlkritische russische Onlinemagazin "Meduza" unter Berufung auf Militärblogger berichtet, überquerten am Dienstagmorgen "bewaffnete Gruppen in Pickups" mit Unterstützung von Mörsern und Artillerie die Grenze – bestehend aus russischen Exilkämpfern.

Ilja Ponomarjow, ein Ex-Parlamentsabgeordneter in Russland, der seit rund zehn Jahren im Ausland lebt und heute angeblich für die Partisanengruppe Legion Freies Russland spricht, erklärte, dass Kräfte der Legion Freies Russland, des Russischen Freiwilligenkorps und des Sibirischen Bataillons "im Rahmen einer gemeinsamen Operation" in die Regionen Kursk und Belgorod eingedrungen seien. Moskau behauptete später, ein Vordringen auf russisches Gebiet verhindert, mehrere Panzer zerstört und Hunderte Soldaten getötet zu haben. Prüfen lassen sich diese Angaben nicht. Ohnehin weigert sich der Kreml zuzugeben, dass russische Partisanen hinter den Attacken stecken – stattdessen ist von "ukrainischen terroristischen Formationen" die Rede.

Eindruck machen solche Meldungen aber vor allem, weil einflussreiche russische Militärblogger sie am Propagandafilter des Kremls vorbeischleusen. Den Zeitpunkt für ihren Vorstoß haben die russischen Exilkämpfer freilich nicht zufällig gewählt. "Wir gehen zur Wahl", höhnte einer ihrer Anführer Anfang der Woche auf Telegram. Wie der "Spiegel" berichtet, sei es ihr Ziel, Putin in die sibirische Strafkolonie "Polarwolf" zu stecken – jenes Gefängnis, in dem zuletzt Kremlkritiker Alexej Nawalny sein Leben ließ.

Rechte Helfer

Die russischen Milizionäre haben sich zu schätzungsweise jeweils Hunderten in drei Gruppen zusammengeschlossen: 

  • Russischen Freiwilligenkorps (RDK): Das Korps kämpfe für "einen russischen Nationalstaat auf dem Gebiet der mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnten Regionen", erklärte ein Mitglied dem unabhängigen russischen Onlinemedium Sota im April 2023. Angeführt wird das RDK vom Deutsch-Russen Denis Kapustin. Der auch unter dem Namen Nikitin bekannte gebürtige Moskauer ist eine Prominenz in der Hooligan- und rechtsextremen Szene. Kapustin war bereits 2019 von Nordrhein-Westfalen in die Ukraine umgezogen, weil hierzulande seine Aufenthaltserlaubnis ausgelaufen war. In Deutschland hatte er den Verfassungsschutz unter anderem als Gründer der Kampfsportmarke "White Rex" und als Organisator von Veranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht.

     

  • Legion Freies Russland: Die Gruppe entstand eigenen Angaben zufolge kurz nach Kriegsbeginn, im Frühjahr 2022, um "gemeinsam mit dem ukrainischen Volk gegen Putins bewaffnete Bande zu kämpfen". Gemeinsam mit dem RDK bekannte sich die Gruppe zu den Angriffen auf Belgorod im Mai 2023. Zwar kämpfen sie aufseiten der Ukraine, viele Mitglieder sind aber (milde formuliert) durch und durch russische Nationalisten. Die rechte Gesinnung der Exilanten steht keineswegs im Widerspruch zu ihrem Kampf gegen ihre Landsmänner – im Gegenteil. Unklar ist weiterhin, inwiefern die Legion und das RDK in die ukrainische Kommandostruktur eingegliedert sind. Ihre Aktionen würden zumindest mit der ukrainischen Armee abgestimmt, behauptete ein Exilkämpfer mit Decknamen "Fortune" vor einem Jahr gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. 

     

  • Sibirisches Bataillon: Die jüngste, erst im vergangenen Herbst gegründete Gruppe, setzt sich aus Angehörigen ethnischer Minderheiten wie Jakuten, Burjaten und Tuwinern zusammen. Die indigenen Völker Sibiriens werden seit langem vom Moskauer Regime unterdrückt und deren Mitglieder Berichten zufolge unverhältnismäßig oft für den Krieg in der Ukraine zwangseingezogen. Viele Kämpfer hoffen Berichten zufolge, eine Niederlage Putins könne ihnen den Weg zu einer eigenen Republik ebnen. Im Gegensatz zu den anderen beiden Exilantenverbänden ist das Bataillon angeblich offiziell Teil der ukrainischen Streitkräfte.

Kiew zufolge handeln alle paramilitärischen Gruppierungen auf eigene Faust, wenn sie auf russischem Gebiet zuschlagen. "Aber es sind Bürger der Russischen Föderation, und zu Hause (in Russland) haben sie das Recht, alles zu tun, was sie in dieser Situation für notwendig halten, um ihre Bürgerrechte zu schützen und ihr Land von der russischen Putin-Diktatur zu befreien", zitiert der Sender "Ukraina 24" den Sprecher des ukrainischen Militärnachrichtendienstes HUR.

Ob Scharmützel auf russischem Boden strategisch sinnvoll sind, das sei dahingestellt. Ohnehin dürfte es Kiew eher um eine Botschaft an die Russen gehen: Nämlich, dass Putin sein Volk nicht schützen kann und vor allem, dass nicht alle Russen hinter dem Autokraten stehen.

Quellen: "Meduza"; CNN; "Newsweek"; BBC; "Kyviv Independent"; "Telegraph"; "Spiegel"; AFP; Reuters