Eigentlich wollte Kamala Harris sich in diesem Jahr als erste Frau in der US-Geschichte zur Präsidentin wählen lassen. Doch nach einem fulminanten Start im Bewerberrennen der Demokraten verlor die Senatorin den Anschluss und warf schließlich das Handtuch. Jetzt hat Präsidentschaftskandidat Joe Biden die 55-Jährige, eine der bekanntesten schwarzen Politikerinnen des Landes, zu seiner Vize-Kandidatin im Rennen um das Weiße Haus gemacht.
Wie Biden steht Kamala Harris in der Mitte
Dass sich der Ex-Vizepräsident für Harris als seine Vizepräsidentschaftskandidatin entschieden hat, kam nicht überraschend. Eine Handvoll Frauen wurden als Favoritinnen gehandelt. Darunter Susan Rice, die frühere Sicherheitsberaterin von Barack Obama oder Elisabeth Warren, die kämpferische Linke. Wie Biden steht Harris dagegen in der Mitte der Demokratischen Partei, die in den vergangenen Jahren sehr nach links gerückt ist. Vor allem aber: Sie ist nicht weiß. Viele in der Parteibasis, besonders in den Südstaaten, haben darauf gedrängt, dass sich der Kandidat für eine schwarze Frau als "Running Mate" entscheidet.
Harris wurde 1964 im kalifornischen Oakland als Tochter eines aus Jamaika eingewanderten Wirtschaftsprofessors und einer aus Indien stammenden Krebsforscherin geboren. Sie studierte an der historischen Schwarzen-Universität Howard University in Washington und machte einen Jura-Abschluss an der University of California. Nach Jahren als Staatsanwältin in San Francisco wurde sie 2011 als erste Frau und erste Schwarze Generalstaatsanwältin und damit Justizministerin von Kalifornien.
Nicht wenige betrachten Harris' Vergangenheit in dem Amt jedoch als Problem. Sie galt damals als hart und wenig reformorientiert, was sie ausgerechnet bei Minderheiten umstritten macht. Bürgerrechtsaktivisten halten Harris aber zugute, unter anderem mit der Veröffentlichung von Daten zu Polizeigewalt für viel Transparenz gesorgt zu haben. 2017 später zog sie in den Senat in Washington ein, als zweite afroamerikanische Frau in der Geschichte. Ihre jüngere Schwester Maya Harris steht ebenfalls in der Öffentlichkeit. Sie ist auch Juristin und kommentiert im US-Sender MSNBC das politische Tagesgeschehen.
Im Vorwahlkampf noch Biden angegriffen
Dass Biden Harris als Vize ausgewählt hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Bei einer TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftsbewerber hatte die Kalifornierin den Ex-Vizepräsidenten im vergangenen Jahr scharf angegriffen. Sie warf dem 77-Jährigen in einem viel beachteten Wortgefecht vor, sich in der Vergangenheit gegen ein Programm gestemmt zu haben, das schwarze Jungen und Mädchen mit Bussen in vornehmlich weiße Schulen fuhr. Damals sagte sie einen Satz, der vielen in Erinnerung blieb: "Das kleine Mädchen war ich."
Mit solchen Äußerungen kann Harris politische Gegner in die Ecke drängen - und mit einem herzhaften Lachen Sympathien gewinnen. Die Kunst der Debatte ist eine im Wahlkampf wichtige Qualität. Das dürfte ihr auch im obligatorischen TV-Showdown mit dem gegnerischen Vize Mike Pence helfen. Der Amtsinhaber gilt nicht als jemand, der diese Art von Auseinandersetzung sucht. Ohnehin wird das Wahlkampfduell Harris-Pence interessant werden, weil die beiden in ziemlich jedem Aspekt das genaue Gegenteil des anderen verkörpern.
Harris hat ihre Klarheit zurück
Pence ist der weiße Mann aus der Provinz, ein christlicher Fundamentalist, der Abtreibung ablehnt und zum Umgang der Ethnien untereinander sicherheitshalber schweigt. Harris dagegen sagte als sie ihre Unterstützung für Bidens Kandidatur bekanntgab, dass "Rassengerechtigkeit 2020 zur Abstimmung" stehe. Eine Überwindung des strukturellen Rassismus hält sie für möglich. Die Klarheit, die ihr als Präsidentschaftsanwärterin bisweilen fehlte, erlangte sie zurück: In der Coronakrise weist sie immer wieder darauf hin, dass Minderheiten wie Afroamerikaner stärker von der Pandemie betroffen sind.
Bis vor ein paar Monaten noch hatte Harris vor, ohne Umweg über die Vizepräsidentschaft direkt ins Weiße Haus einzuziehen. Dennoch darf sie weiter vom höchsten Amt in den Vereinigten Staaten träumen. Die nun in greifbare Nähe gerückte Position des Stellvertreters war in der US-Geschichte oft ein Sprungbrett ins Oval Office. Sollte Harris an Bidens Seite das Weiße Haus erobern, gilt es als so gut wie ausgemacht, dass sie sich um seine Nachfolge bewerben wird. Denn mit seinen 77 Jahren dürfte Biden kaum zu mehr als einer Amtszeit bereit sein. Mit Kamala Harris hat der Demokrat möglicherweise auch schon die künftige US-Präsidentin erwählt.