Krieg will keiner, aber fürchten tun sie ihn nicht. Chen Changfeng, der die Schnapsproduktion im fernen Jiangsu für den Volkskongress in Peking zurückgelassen hat, meint: "Krieg oder nicht, jeder einzelne Chinese sorgt sich um die Wiedervereinigung des Landes." Unvermeidbar wie ein Naturgesetz klingt es, wenn der Delegierte sagt: "Wenn die Einheit oder Volksgemeinschaft bedroht sind, muss ein Krieg begonnen werden." Ob alle daheim in seiner Provinz so denken? "Ja, alle Leute", glaubt er. "Egal, wie viel geopfert werden muss - die Nation darf nicht geteilt werden."
Patriotische Stimmung - wie immer
Trotz des Säbelrasselns gegen Taiwan ist die Stimmung auf der Tagung des Volkskongresses allerdings keineswegs kriegerisch, nur eben patriotisch wie immer. Es ist ein altes Ritual. Jedes Jahr im März kommen die knapp 3000 Delegierten aus allen Teilen des großen Reiches zusammen. Lange Buskolonnen rollen auf den Platz des Himmlischen Friedens. "Wissenschaftliche Verkehrslenkung" und das Satelliten-Navigationssystem GPS in den Polizeiwagen hätten die Fahrt der Delegierten vom Hotel diesmal sogar um fünf Minuten verkürzt, jubelt die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Da bleibt mehr Zeit für das Erinnerungsfoto auf den Stufen der Großen Halle des Volkes.
Das Wetter meint es gut mit den Delegierten. Der eisige Wind hat sich gelegt, die Sonne scheint. Keine Wolke am blauen Himmel, auch keine Kriegswolken, doch spricht Taiwans Präsident Chen Shui-bian von "dunklen Wolken", sollte der Volkskongress das Anti-Abspaltungsgesetz gegen die Unabhängigkeitskräfte in Taiwan annehmen. Der Text ist noch geheim. Fast kein Abgeordneter kennt ihn. So viel steht fest: Selbst wenn nur von "nicht friedlichen Mitteln" die Rede ist, kann sich China sogar auf "Rechtstaatlichkeit" berufen, wenn die Raketen auf die demokratische Inselrepublik zufliegen sollten.
"Friedliche Wiedervereinigung"
Wird das Gesetz zum Krieg führen? "Nein, nein, absolut nicht", beteuert Cai Yaoxin, die Peking-Opern im beliebten alten Kunqu-Stil singt, wenn sie nicht ihren Pflichten als Delegierte nachkommt. "Ich denke, das Gesetz wird die Wiedervereinigung fördern und unsere "große Brust" zeigen", bemüht die Opernsängerin einen chinesischen Begriff, der Toleranz, vielleicht auch Flexibilität andeuten soll. Tatsächlich singt nicht nur Staats- und Parteichef Hu Jintao, sondern zum Auftakt des Volkskongresses am Samstag auch Ministerpräsident Wen Jiabao die Hymne von der "friedlichen Wiedervereinigung".
Damit die Töne nicht ungehört über der Meerenge von Taiwan verhallen, spricht Wen Jiabao auch von einer starken und gerüsteten Volksbefreiungsarmee als dem "Garanten" für die Wiedervereinigung, denn ohne militärischen Druck wären die "Brüder und Schwestern" in Taiwan überhaupt nicht dazu zu bewegen. Und eines ist ohnehin klar: "Niemals darf sich Taiwan von China abtrennen" - obwohl es schon mehr als fünf Jahrzehnte von Festland-China getrennt ist.
Zweigleisiger Kurs
Ignoriert werden auch die enormen Kosten eines Militärschlages. 100 Milliarden Dollar soll Taiwan heute in China investiert haben. Der Handel zwischen beiden Seiten stieg vergangenes Jahr um 33 Prozent auf 61 Milliarden US-Dollar. Der Preis einer Rückeroberung spielt für den Abgeordneten Li aus der armen Provinz Henan aber keine Rolle: "Niemand kann den Willen der 1,3 Milliarden Chinesen aufhalten. Alle anderen Probleme werden dann klein. Die Wiedervereinigung ist das Wichtigste."
Den Europäern gegenüber wird fleißig Kreide gefressen: Chinas Außenminister Li Zhaoxing trat noch am Sonntag Sorgen der Europäer über einen möglichen Krieg mit Taiwan entgegen. Auf einer Pressekonferenz aus Anlass der Tagung des Volkskongresses in Peking forderte Li Zhaoxing, das "veraltete" Embargo bald aufzuheben.
Europa soll Waffen-Embargo aufheben
"Wir müssen gar nicht eine Menge fortschrittlicher Waffen von der Europäischen Union kaufen", sagte der Minister. "Als Entwicklungsland haben wir nicht das Geld, um Waffen zu kaufen, die für uns teuer und nutzlos sind." Das Gesetz ziele nur darauf, "rücksichtslose" Aktivitäten der Unabhängigkeitskräfte zu verhindern. Neben dem Wunsch China nach friedlicher Wiedervereinigung beinhaltet es die feste Entschlossenheit, die territoriale Integrität zu sichern und den Unabhängigkeitskräften "niemals" zu erlauben, Taiwan von China abzutrennen.
Die seit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 bestehenden Sanktionen, deren Aufhebung vor allem Deutschland und Frankreich gegen den Widerstand der USA betreiben, beschrieb Li Zhaoxing als "politische Diskriminierung". Das Anti-Abspaltungsgesetz, das auch die 3000 Delegierten des Volkskongresses bislang nicht gesehen haben, wird am Dienstag eingebracht und am 14. März verabschiedet.