Die Iraker haben sich am Donnerstag überraschend zahlreich an der ersten Wahl eines regulären Parlaments nach dem Sturz Saddam Husseins vor gut zweieinhalb Jahren beteiligt. Wegen des großen Andrangs schlossen die 33.000 Wahllokale eine Stunde später als vorgesehen. In einigen Hochburgen der Sunniten, die die Wahl des provisorischen Parlaments im Januar noch boykottiert hatten, gingen sogar die Stimmzettel aus. Auch wegen der scharfen Sicherheitsvorkehrungen gab es nur vereinzelte Anschläge, bei denen drei Menschen getötet wurden.
Die Ergebnisse sollen "innerhalb von zwei Wochen" bekannt gegeben werden, wie die Wahlkommission in Bagdad mitteilte. Die USA und die Europäische Union sprachen von einer historischen Abstimmung. Die landesweit hohe Beteiligung und die nur geringe Gewalt seien ermutigend, sagte der Sprecher von US-Präsident George W. Bush, Scott McClellan. "Dies ist ein historischer Tag für den Fortschritt der Freiheit." Der britische Premierminister Tony Blair erklärte im Namen der EU, der weitgehend friedliche Verlauf der Wahl sei "außerordentlich und sehr erhebend".
Auch viele Sunniten stimmen ab
15 Millionen Iraker waren aufgerufen, über die Vergabe von 275 Parlamentssitzen zu entscheiden. Als einer der ersten Wähler gab der irakische Präsident Dschalal Talabani seine Stimme ab. Der Kurde wählte in der nordirakischen Stadt Sulaimanija. Im Unterschied zur Abstimmung im Januar, die von der sunnitischen Minderheit weitgehend boykottiert worden war, strömten sie dieses Mal zu den Wahlurnen. Aus Hochburgen wie Falludscha und Ramadi lagen Berichte vor, dass die Stimmzettel ausgegangen seien.
Ermutigt wurden die Menschen offenbar dadurch, dass mehr als 1.000 sunnitische Geistliche zur Beteiligung an der Wahl aufgerufen hatten, um den Sunniten eine stärkere Beteiligung an der Macht zu sichern. Die unter Saddam Hussein privilegierte Minderheit der Sunniten sieht sich im neuen Irak gegenüber den Schiiten im Nachteil, die zusammen mit den Kurden die Regierung dominieren. Zu Gute kommt den Sunniten, dass ihnen das neue Wahlrecht eine größere Vertretung im neuen Parlament als bisher sichert.
Parlament für vier Jahre
Im Unterschied zur Wahl im Januar bildet jede der 18 Provinzen einen eigenen Wahlbezirk. Dort bemühen sich die Bewerber um 230 Parlamentsmandate, weitere 45 Sitze werden über Parteilisten verteilt. Ein Viertel der Sitze ist für Frauen reserviert. Das neue Parlament wurde für vier Jahre gewählt. Es soll eine neue Regierung sowie einen neuen Staatspräsidenten bestimmen. Um die Mandate bewarben sich gut 7.700 Kandidaten.
Trotz starker Sicherheitsvorkehrungen kam es zu vereinzelten Angriffen. Zum Auftakt der Wahl schlugen Mörsergranaten in der Grünen Zone in der Hauptstadt Bagdad ein. Dabei wurden zwei Zivilisten und ein US-Soldat verletzt. In der nordirakischen Stadt Mossul wurde ein Sicherheitsbeamter bei der Explosion eines Sprengsatzes vor einem Krankenhaus getötet. Einen weiteren Toten gab es bei einem Mörserangriff in der ebenfalls im Norden gelegenen Stadt Tal Afar. Bei der Explosion einer Bombe kam bei Bakuba ein irakischen Soldat ums Leben.
Die Wahl ist nicht nur für die Iraker, sondern auch für die USA von besonderer Bedeutung. Die Regierung in Washington hofft auf eine Stabilisierung der Lage, um die Truppen allmählich abziehen zu können. Präsident George W. Bush zeigte sich zuversichtlich. Trotz der anhaltenden Gewalt hätten die Iraker jedes der gesetzten Ziele beim Aufbau einer Demokratie erreicht, erklärte Bush. Dazu gehörten die Wahl des Übergangsparlaments im Januar und die Verabschiedung der Verfassung im Oktober.