Wahlen in Libyen Übergangsrat ändert Spielregeln unmittelbar vor Wahltag

Die von Diktatur und Krieg gezeichneten Libyer erleben am Samstag zum ersten Mal eine demokratische Wahl im eigenen Land. Der Nationale Übergangsrat hat kurz vor dem Urnengang das Prozedere geändert.

Die Libyer wählen die 200 Abgeordneten eines Allgemeinen Nationalkongresses. Kurz vor der historischen Wahl kam am Freitag allerdings Verwirrung auf, weil der Nationale Übergangsrat (NTC) auf den letzten Drücker eine radikale Änderung im Fahrplan für die Übergangszeit anordnete.

Der Nationalkongress soll jetzt nur noch das Prozedere für die Wahl einer 60-köpfigen Verfassungskommission durch das Volk festlegen. Ursprünglich hatte es geheißen, der Nationalkongress solle die Mitglieder der Verfassungskommission selbst bestimmen. Der NTC legte außerdem fest, dass Mitglieder des Nationalkongresses nicht gleichzeitig der Verfassungskommission angehören dürfen.

Vereinzelte Aufrufe zum Wahlboykott

Der Nationale Übergangsrat, der sich während der Revolution im vergangenen Jahr gebildet hatte, soll nach der Wahl abtreten. Die Armee wurde für die Wahl in Alarmbereitschaft versetzt. Vor Wahllokalen in Tripolis und Bengasi sahen Beobachter am Freitag Soldaten und Milizionäre. Sie sollen nach Angaben der Übergangsregierung mögliche Angriffe von Gegnern der ersten demokratischen Wahl in dem nordafrikanischen Land verhindern.

Mehr als 2,8 Millionen Libyer haben sich in die Wählerlisten eintragen lassen. Sie sollen die Mitglieder eines Allgemeinen Nationalkongresses wählen, der die Aufgaben eines Übergangsparlaments hat. Rund 4000 Kandidaten bewerben sich um die 200 Mandate. Der Nationalkongress soll später eine neue Übergangsregierung bestimmen.

Im Osten des Landes haben Gruppen, die mehr Macht und Autonomie für ihre Region fordern, zum Wahlboykott aufgerufen. Sie zündeten ein Lager der Wahlkommission in Adschdabija westlich von Bengasi an. Der NTC verurteilte die Brandstiftung und erklärte, da Dokumente vernichtet worden seien, könne es in dem Bezirk zu einer Verzögerung der Wahl kommen.

Islam als "wichtigste Quelle der Rechtssprechung"

Bundesaußenminister Guido Westerwelle nannte die Wahlen "einen Meilenstein für den angestrebten demokratischen Wandel im neuen Libyen". Deutschland werde dem neuen Libyen weiter als Partner zur Seite stehen. "Wir wünschen uns ein Libyen, in dem auf der Grundlage einer verfassungsmäßigen Ordnung Rechtsstaat und Freiheit, Frieden und innere Aussöhnung sowie Pluralität und religiöse Toleranz verwirklicht werden können."

Das Programm der meisten Kandidaten stützt sich auf drei Pfeiler: staatliche Dienstleistungen, Islam und Nationalismus. Zu den bekanntesten Parteien zählen die Partei für Gerechtigkeit und Aufbau, die von den Muslimbrüdern gegründet wurde, sowie die Vaterlandspartei von Mahmud Dschibril. Der weltgewandte Ökonom war während der Revolution gegen Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi Ministerpräsident einer Übergangsregierung gewesen.

Der Nationale Übergangsrat hatte am Donnerstagabend noch einen weiteren politischen Schnellschuss losgelassen und erklärt, der Islam werde auch künftig "die wichtigste Quelle der Rechtsprechung" sein. Sehr umstritten ist dies in dem mehrheitlich islamisch-konservativen Land nicht. Nur einige radikale Islamisten wollen, dass der Islam die "einzige Quelle" der Rechtsprechung ist.

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juho/DPA