Die Worte können nicht groß genug sein, um den Tod des Ex-Machthabers Muammar al Gaddafi zu feiern und den Start in ein neues Libyen zu bejubeln. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nennt es einen "historischen Übergang", US-Präsident Barack Obama spricht von einem "Ende eines langen und schmerzvollen Kapitels", Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sieht "einen großen Schritt im libyschen Freiheitskampf" und Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, der Tod Gaddafis mache den Weg frei für einen politischen Neuanfang.
Der Start in einen neuen Staat schien schon zu scheitern. Die neuen Machthaber wollten das Ende des alten nicht näher beleuchten, sondern ihn schnell beisetzen. Videos und Fotos kursieren - vom gefangenen, aber noch lebenden Gaddafi wie auch von der blutüberströmten Leiche. Und der Übergangsrat schwenkte im Laufe des Freitags um: Die Leiche des Despoten liegt in einem Kühlraum eines Einkaufzentrums in Misrata. Wann sie bestattet wird, ist noch unklar. Die Nato erklärte unterdessen, sie habe unwissentlich den Konvoi beschossen.
Enger Zeitplan für den Neustart
Der Übergangsrat macht mächtig Druck: Mit der Bildung des neuen Staats wurde bereits wenige Stunden nach dem Tod des Diktators begonnen. Am Samstag soll die Befreiung des Landes erklärt werden. Der Rat wird von der Rebellenhochburg Bengasi nach Tripolis ziehen. Innerhalb eines Monats soll die Übergangsregierung stehen. Deren Aufgabe wird es sein, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen und freie, demokratische Wahlen vorzubereiten, die acht Monate später den Nationalkongress bestimmen sollen.
Gaddafis Tod - ein Vorteil für das Land
Von Politikexperten wird der Tod Gaddafis sogar als guter Ausgangspunkt für einen Neustart gesehen. "Der große Vorteil ist, dass nun kein Gerichtsverfahren stattfinden muss. Man kann sich sofort den Herausforderungen der Zukunft stellen", sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz am Freitag.
Ähnlich äußerte sich auch der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes. Würde Gaddafi noch leben, hätte man in Libyen nicht genau gewusst, was man mit ihm machen solle, so Perthes. Nach seiner Einschätzung hat der Übergangsrat gute Chancen, das Land in geordnete Bahnen zu führen. Wichtig sei es aber, die Gaddafi-Unterstützer zu integrieren.
Die Frage sei, was mit den Milizen passiere, die hervorragend ausgerüstet sind, sagte Meyer. Es sei ungewiss, ob sie bereit seien, ihre Waffen abzugeben. Allerdings sei die Gefahr von Guerilla-Aktivitäten durch den Tod des Ex-Diktators geschrumpft. Die Hoffnung bei Gaddafis Anhängern, das Blatt noch wenden zu können, sei endgültig zerstört.
Neue Machthaber mit unterschiedlichen Marschrouten
Dennoch blickt das Land keiner leichten Zukunft entgegen. Dass die Regierungsbildung ohne Schwierigkeiten abläuft, ist unwahrscheinlich. Zu viele Stämme und Clans möchten mitreden. Es gibt keine Parteien, Vereine oder Verbände, die das Machtvakuum füllen könnten. Einige Herren haben sich in den vergangenen Monaten um einen politischen Neustart verdient gemacht. Viele von ihnen waren bereits unter dem Gaddafi-Regime in Führungspositionen, einigen werden Kontakte zu radikalen Islamisten nachgesagt, welche Auffassung von Demokratie sie vertreten, muss sich erst noch zeigen.
Wie beispielsweise der Ministerpräsident des Übergangsrates,
Mahmud Dschibril
. Er war unter Gaddafi Leiter des Nationalen Ausschusses für Wirtschaftliche Entwicklung. Nach dem Ausbruch des Aufstands schlug sich Dschibril auf die Seite der Regimegegner. Nach Kritik aus den eigenen Reihen an seinem Führungsstil verkündete er vor ein paar Wochen, künftig auf ein politisches Spitzenamt zu verzichten.
Mustafa Abdel Dschalil
ist seit Ende August Präsident des Nationalen Übergangrates und ist ein Gesicht des Widerstandes. Allerdings: Unter Gaddafi war er drei Jahre Justizminister, bot dem Despoten sowie dessen Gefolgsleuten in einigen prominenten Justizfällen die Stirn. Mehrfach kritisierte er Verstöße gegen Menschenrechte. Er war der erste führende Politiker, der im Februar wegen des Einsatzes von Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten als Minister zurücktrat. Dschalil versprach in seiner ersten offiziellen Rede im September, dass man einen Rechtsstaat, einen Sozialstaat, einen Staat aufzubauen, in dem die islamische Rechtsprechung Scharia die wichtigste Quelle der Gesetzgebung sei. "Wir sind ein muslimisches Volk, für einen moderaten Islam und wir werden auf diesem Weg bleiben", sagte Dschalil.
Militärkommandeur mit Al-Kaida-Vergangenheit
Abdulhafis Ghoga ist zurzeit Sprecher des Übergangsrates. In der Rebellenhochburg Bengasi hat er sich einen Namen in Menschenrechtsfällen gemacht, soll politische Gefangene verteidigt und sich gegen Machthabern nie den Mund verbieten haben lassen. Damit hat er sich Ansehen und Respekt bei lokalen Größen des Regimes verschafft.
Abdekhakim Belhadsch
ist Militärkommandeur von Tripolis und stürmte mit seinen Truppen den Militärkomplex Gaddafis im Stadtteil Bab al Asisija. Die USA und die Nato sehen den studierten Bauingenieur als starken Mann, der in Libyen Ruhe, Ordnung und Rechtsstaatlichkeit durchsetzen könnte. Belhadsch soll in den 90er Jahren nach Afghanistan gereist sein, um die Taliban zu unterstützen. Floh beim Einmarsch der Amerikaner in den Iran, später wurde er verhaftet. Der Ort ist unklar, er soll jedoch an die USA ausgeliefert, utner Folter verhört und nach Libyen überstellt worden sein. Als Kommandeur der radikalen Kämpfenden Islamischen Vereinigung in Libyen (LIFG) soll er auch Kontakt mit dem Terrornetz al Kaida gehabt haben.
Wer im neuen Libyen die Macht in der Hand haben wird, wird sich im Laufe der kommenden Wochen abzeichnen. Wirtschaftlich scheint der Start in die Zukunft leichter. Die gigantischen Ölvorkommen, die bereits erschlossen sind, und die Gaddafi-Milliarden, die vom Westen eingefroren wurden, helfen beim Wiederaufbau.
Gaddafis Waffen in Afrika verteilt
Bleibt die Frage nach Gaddafis Waffen. Die Waffenarsenale des Ex-Machthabers sollen größtenteils geplündert sein. Wer derzeit über die Boden-Luft-Raketen, Maschinengewehre und zugehörige Munition verfügt, ist unklar. Diplomaten und Experten am Sitz der Vereinten Nationen in New York berichten, dass die libyschen Rebellen im monatelangen Kampf gegen Gaddafis Truppen sämtliche Waffen abtransportiert hätten. Die Bestände seien größtenteils außer Landes gebracht worden. In einem westlichen Geheimdienstbericht ist von Lastwagen voller Waffen die Rede, die in die sudanesischen Krisenregionen Darfur und Süd-Kordofan fuhren.
Afrikanische Staaten sind in Sorge. "Sicher ist, dass Waffen in den Tschad, nach Mali und in den Niger gebracht wurden", sagt Mauretaniens Außenminister Hamadi Ould Hamadi. Dem nigrischen Staatschef Mahamadou Issoufou zufolge sind die libyschen Waffen "über die Sahelzone und die Sahararegion verstreut und könnten in die Hände von Terroristen fallen". Die Furcht ist, dass radikale Terrorgruppen im Jemen, in Äthiopien und anderen Ländern der Region mit libyschen Waffen ausstatten. Die Chemiewaffen und das atomare Material Gaddafis sind laut dem UN-Libyen-Sonderbeauftragten Ian Martin in Sicherheit.