Wanderarbeiter Chinas neue "Sklaven"

Ohne die Arbeitskräfte vom Lande wäre Chinas Wirtschaftswunder nicht denkbar. Sie hausen in überfüllten Unterkünften, erledigen Drecksarbeit für kargen Lohn und den bekommen sie oft nicht mal ausbezahlt.

Die Bauarbeiter wollten nur ihren Lohn. Stattdessen bekamen sie Prügel. 80 Schläger, mit Eisenstangen und Feuerlöschern bewaffnet, fielen über die Wanderarbeiter her, die am Wochenende vor der Baufirma Tianli in Peking ihren Lohn einforderten. Mehr als 30 Arbeiter landeten blutüberströmt und teils schwer verletzt im Krankenhaus. Einer musste am offenen Kopf operiert werden. Woher der Schlägertrupp kam, sagte niemand, doch berichtete die Pekinger Zeitung "Jinghua Shibao", dass die normalen Wachen des Gebäudes vorher angewiesen worden waren, ihre Posten zu räumen.

Drecksarbeit für kargen Lohn

Solche Konflikte sind kein Einzelfall. Ausgebeutet, misshandelt und hilflos fühlen sich einige Wanderarbeiter schon wie "Sklaven". Ohne die 100 bis 200 Millionen billigen Arbeitskräfte vom Lande wäre aber Chinas Wirtschaftswunder nicht denkbar. Sie hausen in überfüllten Unterkünften, erledigen Drecksarbeit für kargen Lohn, den sie dann oft nicht mal ausbezahlt bekommen. Mehr als 360 Milliarden Yuan, umgerechnet 36 Milliarden Euro, schuldeten Unternehmen, ja selbst Behörden, solchen Arbeiter, gesteht Vize-Ministerpräsident Zeng Peiyan ein. "Einige warten seit zehn Jahren auf Lohn."

Wie weit die Verzweiflung gehen kann, demonstrierte am selben Wochenende ein kollektiver Selbstmordversuch in Shenyang. Sieben Arbeiter, die ihre Familien nicht mehr unterstützen konnten, nahmen eine Überdosis Schlaftabletten. Durch Zufall entdeckte ein Kollege die leblosen Körper, schlug Alarm. Der gerettete 52-jährige Yuan Zhongshuang erklärte, er habe keinen Ausweg mehr gewusst, weil er seine bettlägerige Frau und seinen Sohn nicht mehr versorgen konnte. Seit Monaten wurden sie nicht mehr bezahlt. "Bald mussten die meisten von uns mit einer Mahlzeit am Tag auskommen", sagte ein anderer. Nach Angaben des Arbeiteraktivisten Robin Munro vom China Labour Bulletin in Hongkong gibt es "eine wachsende Zahl von Selbstmorden aus diesem Grund". "Es zeigt, dass sie jede Hoffnung verlieren."

Regierungschef Wen Jiabao, der persönlich einer Bäuerin geholfen hat, damit die Gemeinde ihrem Mann endlich seinen Lohn als Straßenarbeiter - ein Drittel Jahresgehalt - bezahlt, geht das Problem offen an. Die Propaganda verkündet Erfolge, bringt damit aber nur neue Ungerechtigkeiten zutage. So berichtet Pekings Baukommission, in der ersten Jahreshälfte angeblich 110 000 Arbeitern geholfen zu haben, an ihre bis dahin nicht ausbezahlten Löhne in Höhe von 290 Millionen Yuan (29 Millionen Euro) zu kommen. Trotzdem sind Proteste an der Tagesordnung, demonstrieren die brutalen Schläge für die aufmüpfigen Arbeiter wieder nur, dass sich nichts geändert hat.

"Hoffnungslos ungeschützt"

Selbst wenn gezahlt wird, sind es immer noch minimale Löhne, die sich trotz der Wohlstandsexplosion in China und massiv verteuerter Lebenshaltung kaum erhöht haben - in Südchina in zwölf Jahren von 400 gerade einmal auf 480 Yuan (48 Euro). "Solche Probleme sind die Hauptursachen für zunehmende Unruhen", sagt der Arbeiter-Experte Munro. Die Wanderarbeiter seien "hoffnungslos ungeschützt". "Die einzig wahre Lösung wäre, sich gewerkschaftlich zu organisieren." So bleiben Arbeitern nur Aufstände, die einen Teil der landesweit 56 000 registrierten Proteste 2003 ausmachten. Der renommierte chinesische Soziologe Lu Xueyi warnte in der Zeitung "China Daily" vor einer "Zeitbombe, die hochgeht, wenn sie nicht angemessen angepackt wird."

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Andreas Landwehr/DPA