Washington Memo McCain versiebt zweites TV-Duell

  • von Katja Gloger
Es war vielleicht die letzte Chance des Kriegers John McCain. Und er hat sie nicht genutzt. Denn der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama hat das zweite TV-Duell nach Punkten für sich entschieden. Die Finanzkrise spielte auch dabei eine wichtige Rolle.

Wann er denn endlich die Glacé-Handschuhe ausziehen werde, hatte man ihn während einer Wahlveranstaltung gefragt. Wann würde er endlich auf Angriff schalten? Da hatte John McCain gelächelt und vielsagend geantwortet: "Wie wäre es denn mit dem kommenden Dienstag?"

"Historisch". "Allesentscheidend". "Ein Moment, der über Leben und Tod entscheidet." So hatte man die zweite TV-Debatte der beiden Kandidaten angekündigt. Und die Überlebensfrage stellte sich dabei vor allem für John McCain. Denn die Zahlen sehen schlecht aus für den alten Krieger, und sie werden immer schlechter. Landesweit hat ihn Barack Obama in den Umfragen überholt, liegt jetzt auch in wichtigen, umkämpften Bundesstaaten vorn und holt selbst in den Staaten auf, in denen bislang ein Sieg der Republikaner als sicher galt. In Florida etwa, oder in Virginia oder in North Carolina.

Es sind noch vier Wochen bis zur Wahl

Angeschlagen ging John McCain in diese zweite Debatte, aber nicht ausgezählt. Und von den Toten ist dieser Mann schließlich schon mehrmals auferstanden. Auch im wörtlichen Sinn. Gestern bot sich in Nashville John McCains letzte große Chance, die Initiative wieder an sich zu reißen. Es sind noch vier Wochen bis zur Wahl, Zeit genug, Wähler umzustimmen, neue zu gewinnen. Gestern musste sich John McCain als Reformer präsentieren, der die Wirtschaft des Landes retten kann. Als Problemlöser. Als einer, der es mit dem Problemlöser Barack Obama aufnehmen kann.

Und damit hatte es John McCain so eilig, dass er manchmal nach Luft schnappen musste. Er hatte sich in einen eleganten, dunklen Anzug gezwängt, eine fast jugendlich-peppige Krawatte dazu, orange-rot gestreift, und er schien ganz begierig zu sein, Kontakt mit den Zuschauern herzustellen. Sichtlich nervös war er, hatte anfangs Probleme mit seinem Bein, wenn er sich vom Stuhl erhob und auf das Publikum zueilte, Folgen seiner Kriegsverletzung.

Es war eine Bürgerfragestunde

Eigentlich war die gestrige Debatte John McCain wie auf den Leib geschnitten - schließlich hatte er im direkten Dauerkontakt mit den Wählern im vergangenen Herbst sein politisches Comeback geschafft. Es war eine Bürgerfragestunde, ein "townhall meeting." Er liebt solche Veranstaltungen, dann kann er scherzen und voller Gefühl über seine Liebe zum Vaterland sprechen. "Meine Freunde", beginnt John McCain seine Sätze dann, und auf solchen Veranstaltungen möchte man ihm gerne glauben.

Gestern war von seiner Unbekümmertheit, seiner Lust an der Debatte nur noch wenig zu spüren. Er wusste, was auf dem Spiel stand. Aber er machte wenigstens keinen großen Fehler. Er hatte sich penibel vorbereitet, musste vor allem beim Thema Wirtschaft punkten. Er mühte sich, schlug vor, dass die Regierung alle notleidenden Kredite von Hausbesitzern aufkaufen und neue Bedingungen verhandeln solle. "Ist das teuer? Ja." Doch es gelang ihm kaum, verständlich zu machen, dass er die Sorgen und Nöte der Menschen wirklich versteht. Zu offensichtlich war, wie sehr er sich mühte, verlorenes Terrain wiedergutzumachen.

Den Durchbruch blieb er schuldig

Gestern brauchte John McCain das, was man einen "game changer" nennt. Eine neue Qualität, einen echten Durchbruch. Den blieb er schuldig. Und er wusste es, und man sah es ihm an. Hätte er etwa zugeben sollen, dass auch seine eigene Politik der Deregulierung an der Wirtschaftskatastrophe schuld ist? Er konnte Barack Obama ja auch nicht direkt angreifen. Schließlich galt es, die Fragen des amerikanischen Volkes in Zeiten einer schweren Krise zu beantworten. Und außerdem hatte John McCain in den vergangenen Tagen ziemlich negative Schlagzeilen geliefert.

Denn am vergangenen Wochenende hatte er auf das Programm Schlammschlacht geschaltet. "Go negative" und schüre ordentlich Angst - mit dieser Taktik hatten die Republikaner vor vier Jahren die Wahlen gewonnen. Und jetzt ist sich selbst John McCain, der selbst erklärte querdenkende Außenseiter, nicht zu schade, mit Dreck zu werfen. Der Mann, der Politik doch als Ehrensache versteht.

Sarah Palin hatte die Schlammschlacht eröffnet

Seine Vizekandidatin Sarah Palin eröffnete den demagogischen Angriff. Obama hänge mit Terroristen herum, sagte sie in Anspielung auf Obamas Kontakte mit einem gewissen Will Ayers. Der Universitätsprofessor aus Chicago hatte Ende der 60er Jahre aus Protest gegen den Vietnam-Krieg die "Weathermen" gegründet, eine kriminelle Untergrundorganisation, deren Mitglieder Bomben gegen staatliche Einrichtungen warfen. Damals war Obama acht Jahre alt. Doch später, in Chicago, saßen beide zwei Jahre zusammen im Vorstand einer Stiftung, und Obama soll auch einmal eine Kurzbesprechung eines Ayers-Buches über Jugendkriminalität geschrieben haben.

"Wer ist der wahre Barack Obama?", fragt McCain seit neuestem auf Wahlveranstaltungen mit gespielter Unschuld. Und dankbare Zuschauer liefern ihm gerne das Wort, das die Strategen hören wollten: "Ein Terrorist". Andere Redner sprechen den vollen Namen Obamas mit gespielter Dramatik aus: "Barack (Pause) Hussein (Pause) Obama..." Im Internet schwirren E-Mails voller Gerüchte über den angeblich verkappten Moslem Obama. Es ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer: Auf einer Palin-Veranstaltung in Florida soll gar ein Besucher geschrien haben: "Kill him." Bring ihn um. Schwarz. Aggressiv. Ein Vaterlandsverräter. So will man Barack Obama darstellen. Als gigantisches Wahlrisiko.

Das Spiel geht bei der Parteibasis auf

Es ist das alte Spiel mit der Angst, es mag ein Ausdruck der Verzweiflung sein - das Kalkül aber ist: bei der republikanischen Parteibasis wirkt es. So wie auch Sarah Palin bei der Parteibasis ankommt, die angriffslustige Übermutter. Die Basis zu aktivieren ist die letzte große Hoffnung John McCains. Denn immer mehr Wechselwähler haben sich von ihm abgewandt - und zwar in Heerscharen. Nach der jüngsten Umfrage des konservativen Wall Street Journals lagen McCain und Palin bei dieser entscheidenden Wählergruppe noch vor zwei Wochen um 13 Prozent vorn. Jetzt führt Obama mit vier Prozent - eine dramatische Veränderung.

Doch Obama weiß, er hat eine große Schwachstelle, immer noch, auch nach den endlosen 19 Monaten, die dieser Wahlkampf schon dauert: es ist die Farbe seiner Haut - und sein Verhältnis zu aggressiven schwarzen Predigern wie Jeremiah Wright, der den USA die Schuld am 11. September gibt. Nach Umfragen zeigen sich 40 Prozent aller weißen Wähler darüber "beunruhigt".

Obama machte keinen Fehler

Deswegen zeigte sich Barack Obama auch gestern wieder als besonnener Staatsmann, pragmatisch und überlegt, an den konkreten Sorgen der Wähler orientiert. Er machte keinen Fehler. Lieferte alle Punkte, die man liefern musste. Kritisierte McCain höflich als die Fortsetzung der Bush-Ära mit anderen Mitteln, Krankenversicherung auf Freiwilligen-Basis, eine neue Energiepolitik, bei der jeder Opfer bringen muss, aber auch Ölbohrungen im Meer und Atomenergie. Der Irak-Krieg als verheerende Fehleinschätzung McCains. Befürwortete den 700-Milliarden-Dollar-Krisenplan der Regierung und versprach Steuersenkungen für die Mittelklasse. Kritisierte seinen Gegner mit Bedacht und vergaß auch nicht, auf seine bescheidenden Wurzeln hinzuweisen und natürlich auch auf die Chancen, die ihm Amerika gegeben habe.

Aber eine echte Antwort auf das Wirtschaftsdesaster, eine klare Vision, wie er Amerika aus der Krise führen will, die lieferte gestern keiner der beiden Kandidaten. Vielleicht wollte man den Wählern die trüben Zukunftsaussichten ersparen. Am Ende, nach 90 Minuten zwanghafter Höflichkeiten, machte das Publikum Fotos. Die meisten von Barack Obama. Und die ersten Blitzumfragen nach der Debatte zeigten: Punktsieg für Obama.