Weihnachten in Betlehem "Eine blutende Wunde"

Von Oren Geller
In Betlehem steht die Geburtskirche Christi, Zigtausende sind jährlich dorthin gepilgert – jedenfalls vor der zweiten Intifada 2001. Nun bleiben die Touristen aus, einheimische Christen verlassen die Stadt. stern.de war vor Ort.

Der große Krippenplatz in Bethlehem sieht trist aus. Da und dort parken Autos, zwei Händler versuchen, heißen Kaffee an Touristen zu verkaufen. Doch sie werden ihren Kaffee nicht los, obwohl der Kalender den vierten Advent anzeigt, einen Tag vor Weihnachten – es sind einfach nicht genügend Touristen da.

Die Behörden hatten es anders geplant. Die israelische Regierung hatte einen weiteren Übergang in die palästinensische Westbank eröffnet, in jenes Gebiet also, in dem Bethlehem liegt. Sie hatte auch die Kapazität der Checkpoints erhöht, die jeder Tourist passieren muss. Die palästinensische Polizei hatte ihrerseits die Sicherheitskräfte rund um die Geburtskirche deutlich verstärkt. Tatsächlich ist von Hamas-Aktivisten nirgends auch nur ein Barthaar zu sehen. Aber vom Gewusel der Touristen ebenso wenig. Vor der zweiten Intifada 2001 kamen jedes Jahr 40.000 Pilger zu Weihnachten nach Betlehem. Davon können Einheimischen heutzutage nur träumen.

<zwit>Tourristen sind beeindruckt

An der Pforte der Geburtskirche tummeln sich ein paar Reisende, vornehmlich aus den Philippinen und Polen. Nelson, ein 33-jähriger Philippino, der in Israel arbeitet, ist zum ersten Mal hier und sehr beindruckt: "Ich bin sehr froh, hier zu sein, aber die vielen Sicherheitsleute machen mich schon ein wenig unsicher." Eine Gruppe Polen ist für einen Tag aus dem ägyptischen Sinai gekommen. Nach der Besichtigung fährt sie schnurstracks wieder zurück ans Rote Meer. Diese Form des Kurztrips ist inzwischen die Regel: Touristen werden mit Bussen bis an die Geburtskirche gefahren, besichtigen rasch das Heiligtum und verschwinden wieder in Richtung Jerusalem oder Tel Aviv. Für einen Bummel durch die orientalische Altstadt bleibt da keine Zeit.

Die fünf großen Hotels der Stadt sind zwar ausgebucht, aber nur mit Kurzurlaubern, die jeweils zwei Tage bleiben. Die Pensionen der gehobenen Klasse sind schlecht belegt. Ein tschechischer Tourist, der mit seinen drei Kindern angereist ist, deutet die Besuchernot in eine Tugend um: "Wenn sich wenig Menschen im Gotteshaus aufhalten, kann man den Geist des Festes wirklich spüren." Die Gewerbetreibenden reagieren naturgemäß weniger erfreut. Taxifahrer Josef: "Von dem dünnen Pilgerstrom profitieren nur die wenigsten. Es sind die Händler, die den Touristen was verkaufen können. Aber wir Taxifahrer gehen leer aus, denn kein Tourist kommt alleine hier her und nimmt unsere Dienste in Anspruch."

<zwit>Christen verlassen die Stadt Betlehem leidet, nicht nur, weil die Touristen ausbleiben, sondern auch, weil einheimischen Christen, die traditionell die Oberschicht bilden, die Stadt verlassen. Als die Israelis 1967 die Stadt einnahmen, betrug die Zahl der Christen weit mehr als 50 Prozent der Bevölkerung. Nach jahrelanger Emigration ist ihr Anteil auf 15 Prozent geschrumpft. Eine Ursache ist die schlechte wirtschaftliche Lage in Betlehem. Eine andere die zunehmende Aggressivität von Moslems. Gewalttätige Attacken auf Nicht-Muslime sind keine Seltenheit, selbst Geistliche werden bedroht. Die Christen in der Stadt sind frustriert, von der kürzlich abgehaltenen Friedenskonferenz und der darauf gefolgten Geberkonferenz verspricht sich hier keiner was. Josef, von dessen Rückspiegel im Taxi ein kleines Holzkreuz baumelt, meint: "Wir leben bereits so lange unter der Besatzung, wir werden in Zukunft wohl auch so weiter leben müssen."

Die Pfarreien versuchen alles, um die Abwanderung der Christen zu stoppen – ihr stärkstes Argument sind Arbeitsplätze. Die evangelische Weihnachtskirche ist mittlerweile der drittgrößte Arbeitgeber in Betlehem: Rund 80 Gemeindemitglieder fertigen in ihrem Auftrag gläserne Weihnachtsengel. Der Gemeindevorsitzende Mitri Raheb kennt die Problematik der Abwanderung, versucht aber, Optimismus zu verbreiten: "Das ist eine Wunde, die bereits seit 100 Jahren blutet. Mal mehr, mal weniger. Momentan hat sich die Situation stabilisiert und mehr noch: Wir nehmen jeden Monat neue Mitarbeiter auf, die aus dem Ausland wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren." Eine andere christliche Gemeinde eröffnete ein Hostel, das inzwischen 17 Angestellte hat.

Auch die Künstler haben Betlehem nicht aufgegeben. Sie verwandelten die israelische Sperranlage, jene bis zu acht Meter hohe Mauer, die Betlehem umschließt, in das längste Gesamtkunstwerk des Nahen-Ostens. Das lockt Touristen an und ernährt unter anderem einen Galeristen am Krippenplatz. Für 20 US-Dollar bietet er Kunst-Touren durch Bethlehem an. Zu besichtigen sind unter anderem die Werke des Grafitti-Guerillero Banksy, der sich in der Stadt verewigt hat.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch für Hussein, einen Moslem, der vor den Kircheingängen Souvenirs verkauft. "Die Besuchermenge ist immerhin größer als in den vergangenen Jahren. Statt der Europäer kommen halt die arabischen Christen Israels oder die christlichen Gastarbeiter. Ich bin zufrieden und nächstes Jahr werden es noch mehr."