Streiks und Proteste GDL, Bauern: Wer gerade was fordert – und welche Chancen auf Erfolg hat

Claus Weselsky: Held unter den Lokführern, Buhmann für den Rest der Eisenbahner
Claus Weselsky: Held unter den Lokführern, Buhmann für den Rest der Eisenbahner
© Fabian Sommer / DPA
Sehen Sie im Video: GDL-Chef Weselsky über Tarifstreit – jüngstes Angebot der Bahn ist eine Provokation.
 
 
 
 
O-Ton Claus Weselsky, GDL-Chef: "Herr Seiler ist nichts anderes als ein Schauspieler, der schreibt ein Angebot. Wenn Sie sich das anschauen, da steht geschrieben, dass die Menschen die 35-Stunden-Woche bekommen können. Das können sie schon seit mehr als zehn Jahren. Aber wenn sie dabei gleichzeitig ihr Entgelt abgesenkt bekommen, ist das genau das Gegenteil von dem, was wir fordern. Wir fordern die stufenweise Absenkung der Wochenarbeitszeit mit Entgeltausgleich. (Weißblitz) Und wenn man glaubt, bei der Bahn, anders als in anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen, dass der Kompromiss darin besteht, dass die GDL ihre Forderungen zurücknimmt, dann irrt sie. Dann ist eben Ultima Ratio und Arbeitskampf. Wir haben Tarifabschlüsse mit insgesamt acht Eisenbahnverkehrsunternehmen jetzt, wo diese Absenkung, so wie ich sie beschrieben hab, bereits Tarifvertrag ist. Und Herr Seiler tut so, als wäre er irgendjemand anders oder er hätte irgendeinen Preis, um am Ende des Tages sich hier dumm zu stellen bzw. so zu tun, als ginge es. Es geht, wenn man will. (Weißblitz) Wenn die Bahn wieder ein Angebot macht, werden wir dieses Angebot bewerten. Und wenn das Angebot genauso eine Nebelkerze ist und genauso ein Scheinangebot ist, dann werden wir weder einen Streik absagen noch die nächsten verhindern können. Herr Seiler hat sich wie ein vernünftiger Verhandlungsführer zu benehmen und hat am Ende des Tages ein Angebot zu machen, das ein Einstieg in die Absenkung der Wochenarbeitszeit tatsächlich beinhaltet."
Alle Räder stehen still, wenn der Bauer oder der Lokführer es will. Wer hat Aussicht auf Erfolg? Ein schneller Check.
Zwei Männer in Anzug und Krawatte, die lächeln: Bauernpräsident Joachim Rukwied und GDL-Chef Claus Weselsky
Bauernpräsident Joachim Rukwied (l.) und GDL-Chef Claus Weselsky
© Fabian Sommer / Picture Alliance / DPA

Der Bauernführer

Er hat einen heißen Januar versprochen – jetzt liefert er ihn: Joachim Rukwied, 62, CDU-Mitglied, seit 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbands. Seit Anfang der Woche sorgen seine Bauern bundesweit für Blockaden. Rukwied, gelernter Landwirt und Agraringenieur, will die Ampelregierung zwingen, sämtliche Sparbeschlüsse zurückzunehmen. Der Boulevard nennt ihn respektvoll den "Bauern-Chef".

Der Lokführer

Er hat den Weihnachtsfrieden versprochen – und Wort gehalten: Claus Weselsky, 64, CDU-Mitglied, seit 2008 Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, GDL. Seit Mitte der Woche sollen seine Eisenbahner streiken. Weselsky, gelernter Schlosser und Lokführer, verlangt von der Bahn eine Verkürzung der Arbeitszeiten bei vollem Lohn. Der Boulevard nennt ihn wenig respektvoll den "Bahnsinnigen".

Seine Kampfansage

"Es reicht, zu viel ist zu viel. Wir werden dafür sorgen, dass es einen heißen Januar gibt."

Seine Kampfansage

"Für die GDL ist es unerträglich, wie weit sich die (…) Manager der DB AG von den Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer eigenen Mitarbeiter entfernt haben."

Seine Truppen

Knapp 90 Prozent der etwa 300.000 landwirtschaftlichen Betriebe

Seine Truppen

Knapp 40.000, etwa drei Viertel aller Lokführer.

Bisheriger Erfolg

Schon nach dem ersten Berlin-Protest im Dezember ist die Bundesregierung eingeknickt: Doch keine Kfz-Steuer auf Landmaschinen, das Steuerprivileg für Agrardiesel fällt bis 2026 stufenweise weg – statt sofort.


 

Bisheriger Erfolg

Im Frühjahr 2015 streikten Weselskys Lokführer sechs Tage lang – es war der längste Bahnstreik aller Zeiten. Letzte Tarifrunde: 3,3 Prozent mehr Lohn plus 1000 Euro Corona-Prämie.

Rückhalt in den eigenen Reihen

Rukwied gilt als Vertreter der Agrarindustrie und Großbetriebe, weniger der Kleinbauern – und schon gar nicht der ökologischen Landwirtschaft.

Rückhalt in den eigenen Reihen

Held unter den Lokführern, Buhmann für den Rest der Eisenbahner, vor allem für die Konkurrenzgewerkschaft EVG.


 

Sonst in den Schlagzeilen wegen

Rukwied verdient nebenher viel Geld mit Aufsichtsratsmandaten, unter anderem bei der Messe Berlin und dem Agrarkonzern BayWa. Die ARD berichtete, der Bauernpräsident habe dadurch 2020 insgesamt 167.000 Euro erhalten. Rukwied wies das zurück.

Sonst in den Schlagzeilen wegen

Die Fusion zweier Konkurrenzgewerkschaften kommentierte Weselsky so: "Wenn sich zwei Kranke miteinander ins Bett legen und ein Kind zeugen, da kommt von Beginn an was Behindertes raus." Er bat später um Entschuldigung.

Kontrolle über den Protest

Der Einfluss des Bauernpräsidenten schwindet. Gegen die Wut in Chatgruppen und die Unterwanderung von rechts wirkt er machtlos. Das zeigte sich schon in der vergangenen Woche, als ein norddeutscher Bauern-Mob versuchte, eine Fähre zu stürmen, auf der sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befand.

Kontrolle über den Protest

Der Gewerkschaftsboss gilt auch intern als machtbewusst. Spitzname: Stalin.


 

Berechenbarkeit

Es gilt die alte Bauernregel: Kommt der Frost im Januar nicht, zeigt im März er sein Gesicht.

Berechenbarkeit

"Verehrte Fahrgäste, aufgrund von Störungen im Betriebsablauf kommt es leider zu Verspätungen und Zugausfällen."

Sein schärfstes Schwert

Totale Blockade des Regierungsviertels – inklusive Gülle-Kanone vor dem Kanzleramt.

Sein schärfstes Schwert

Der unbefristete Ausstand, ein Streik ohne Ende. Bislang scheut er davor zurück. Vermutlich braucht er ihn gar nicht. Sein Druckmittel: Jetzt läuft in Deutschland die Handball-EM. Großsponsor und Haupttransportmittel für die Teams: die Deutsche Bahn.

Gegenspieler

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Finanzminister Christian Lindner, Vizekanzler Robert Habeck und Kanzler Olaf Scholz.

Gegenspieler

Bahnchef Richard Lutz, Personalvorstand Martin Seiler und der Rest der Konzernspitze.


 

Erfolgsaussichten

Viel mehr als kosmetische Verbesserungen wird Rukwied jetzt nicht mehr für seine Bauern herausholen können. Die Bundesregierung hat sich korrigiert, das war's, mehr gibt's nicht.

Erfolgsaussichten

Der Bahnvorstand ist durch üppige Bonuszahlungen zuletzt selbst unter Druck geraten und nun bereit, doch über kürzere Arbeitszeiten zu sprechen. Mehr Lohn ist ohnehin drin, wie die Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst zeigen.

Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Protest und Blockaden sind das gute Recht der Bauern. Zur Gefahr für die Gesellschaft wird die Wut, wenn sie in gewaltsamen Umsturzfantasien mündet. Galgen haben auf Demos nichts zu suchen.

Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die Wut über Weselskys Protest und die Bahn ist groß, aber sie zeigt sich nur an der Bahnsteigkante. Streiks gehören zur Demokratie, sie gefährden sie nicht.

 

 

 

erschienen in stern 03/24